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SKETCHES OF MOERS

Blitzlichter vom Festival 2023

Moers, 01.06.2023
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam

Dieser Bericht möchte kein Resümee des Festivals ziehen und ebenso wenig einen Überblick geben, das wird an anderer Stelle gemacht, sondern ein paar ganz persönliche Blitzlichter des Festivals geben.

MOERS FESTIVAL | DER SAMSTAG

Von Psychedelic bis zu Musik aus Kylwiria

Musik schallt durch den Park, es klingt nach Krautrock der 70er Jahre. Stände mit bunten indischen und afrikanischen Klamotten, diversen Flöten und Trommeln säumen das Gelände. Das Publikum sitzt entspannt auf der sonnigen Wiese und hört dem Kollektiv Zaäar zu, psychedelischer Free Jazz aus Belgien auf den Spuren von Neptunian Maximalism. Lang gehaltene Synthesizer Töne aus denen sich treibende Rhythmen herausschälen entfalten einen magischen Sounddschungel. Mitwirkende: Didié Nietzch : synths, Ipads ,Andres Navarro : Drums, percs, Hugues Philippe Desrosiers : Electric bass, Jean Jacques Duerinckx; Saxophone sopranino, Guillaume Cazalet CZLT : Vocals, trumpet, flutes, percs.

Schnitt. In der abgedunkelten Enni Eventhalle stehen zwei Reihen Notenständer auf der Bühne. Schattenhafte Gestalten betreten die Bühne und feenhafter Gesang erklingt. Die Trondheim Voices, eine A-capelle Gruppe aus Norwegen, die aus sieben Sängerinnen und einem Elektroniker besteht, versetzt das Publikum für eine Stunde in eine andere Welt. Mit wunderschönen Stimmen heben Gesänge an, die sich zwischen Ligeti Chören und Gesängen von Schamaninnen bewegen. Es entsteht der Wunsch, es möge immer so weitergehen. Aber draußen lockt die Sonne.

Schnitt. Am Rodelberg spielt ein Quartett, das für das Festival zusammengestellt wurde. Eine englisch-deutsche Band, die sich über allen Brexit Wahn hinwegsetzt. Eine Kooperation mit dem Londoner OTO Club, in dem jeden Abend abenteuerlustige experimentelle Musik zu hören ist. Reg Birch am Schlagwerk sorgt für spannende rhythmische Figuren und Caroline Kraabel am Saxophon improvisiert einfallsreich über dieses Rhythmusgeflecht. Beide Musikerinnen sind aus London. Sie treffen auf die Gitarristin Raissa Mehner aus Köln, die mit vielen erweiterten Techniken ihrer Gitarre ungewöhnlich Klänge entlockt. Am Schlagzeug sitzt Simon Camatta aus Essen, ein ungemein erfahrener Improvisationsmusiker, der wichtige Impulse in die Musik trägt. Eine der Bands, die das Flair von Moers ausmachen, no big names, aber großartige Musik.

Schnitt. Aber auch big names sind in Moers. Zum Beispiel Marilyn Mazur, die amerikanische Perkussionistin und Komponistin, die seit ihrem sechsten Lebensjahr in Dänemark lebt, in der Band von Miles Davis war und die jahrelang mit Jan Gabarek zusammengespielte. Sie bringt eine Band mit, die aus fünf Musikerinnen besteht und eine Art Power Percussion Band ist, mit Jaleh Negari an Schlagzeug und Synthesizer, Anja Jacobsen an Schlagzeug und Keyboard, Sonja LeBianca am Saxophon, Marie Bertel an Posaune und Synthesizer und Marylin Mazur an Perkussion. Marylin beginnt mit einem Solo Percussion Programm und zeigt ihre Weltklasse, danach legen sich die anderen Musikerinnen ins Zeug. Ein ungemein Rhythmus betontes Konzert, mit komplexen Strukturen, Drums und Synthesizer stehen im Mittelpunkt. In der Sonne sitzen oder liegen und solch großartige Musik zu hören ist einfach ein Geschenk.

Schnitt. Das musikalische Schaffen von György Ligeti, dessen 100. Geburtstag sich am Pfingstsonntag jährt, hat auf dem Moers Festival viel Raum. Aber Moers wäre nicht Moers, wenn einfach nur Ligetis Musik gespielt würde. Das Festival hat einen Kompositionsauftrag an sechs Musiker*innen vergeben, Musik im Geiste von Ligeti zu schreiben. Ligeti hat als Kind ein Phantasieland geschaffen, das er Kylwiria nannte, mit eigener Sprache, sozialer Ordnung und Gesetzen. Mit 13 Jahren hat er dieses Land wieder verlassen. Das Moers Festival kehrt nun musikalisch in dieses Land zurück. Music from Kylwiria, ein zweistündiges Programm mit dem Ensemble ColLab Cologne unter Leitung von Susanne Blumenthal. ColLAB Cologne fühlt sichvor allem alternativen und experimentellen Spielpraktiken an der Schnittstelle von Performance, Interpretation und Improvisation verpflichtet. Das Ensemble ist ein Labor für Experimente und grenzüberschreitende Musikpraxis.

Die sechs Komponisten*innen Lucia Kilger, Vassos Nicolaou, Theresia Philipp , André O. Möller, Carolin Pook und Nat Wooley gießen ein großes Füllhorn an zeitgenössischer Musik über das Publikum aus. Ein Abend, der sich nicht einfach beschreiben lässt, der aber zeigt welche kreative Kraft die Komponisten*innen und die Musiker*innen haben. Ligeti hätte seine Freude an der Musik gehabt. Auf WDR 3 können auch nicht Moers Besucher live der Musik lauschen oder in der Mediathek nachhören. Es lohnt sich allemal.

Schnitt. Obwohl noch viel mehr auf dem Programm steht, bin ich wohlig gesättigt mit unterschiedlicher aktueller und zeitgenössischer Musik. Musik, die eigentlich für eine ganze Woche reicht, aber auf einen Tag komprimiert ist. Ein musikalisch erfüllter Tag geht für mich zu Ende.

MOERS FESTIVAL | DER SONNTAG

Von Persien bis zu Lux Aeterna

Der Sonntag startet für mich in Persien, mit dem Tember Ensemble. Elektroakustische Klänge mit traditionellen Instrumenten und live Elektronik verbinden sich zu einer Musik, in der sich Tradition und aktuelle Musik treffen. Eine Musik voller überraschender Klangfarben mit einem Hauch von Orient. Das Spiel auf Flöten und Nay von Valentina Bellanova, die Santur, iranische Zitter, von Kioomar Musayyebi und Petros Tzekos an Perkussion sorgen für akustischen persisch-orientalischen Klang, den Ali Ostovar, der Bandgründer, mit seiner live Elektronik modifiziert und erweitert. Musik die in eine Trance führt. Für mich ein echtes Highlight.

Schnitt. Wieder hinaus aus der dunklen Halle in die herrliche Sonne am Rodelberg. Dort geben Stefan Keune am Saxophon, Sandy Even an der Gitarre und Damon Smith am Kontrabass ein Konzert. Freejazz Oldschool Revisited.

Ein kleiner Abstecher führt mich zum Annex. Im Hof eines Gymnasiums finden über die Tage 16 Konzerte statt, zu denen sich die Musiker* innen spontan eintragen können. Die Annex Konzerte führen aus dem Getriebe der großen Halle oder des Rodelberges in kleine spannende Konzerte, die manchmal richtige Kleinode sind. Eine wichtige Neuerung, die unbedingt weitergeführt werden sollte.

Schnitt. Zurück in die Halle, zu einem weiteren Ligeti Event: Le petit macabre. In Anlehnung an die Ligeti Oper Le Grand Macabre hat das Moers Festival ein ehrgeiziges Projekt auf den Weg gebracht. Wieder geht es um Musik die von Ligeti inspiriert ist. Dazu wurden junge Musiker*innen aus den Musikschulen am Niederrhein ausgewählt und als Ensemble Bas- Rhin zusammengefasst. Zusammen mit dem Ensemble INprogRES, das ausstudierenden der Düsseldorfer Musikhochschule besteht und den Gastmusiker*innen Eddy Kwon an der Violine, Silke Eberhard am Saxophon und Ethan Iverson am Piano spielte das Ensemble Bas-Rhin ein Ligeti Special mit Kompositionen von Pamela Soria und Ferdinand Heuberger. Dahinter steckt eine wahnsinnige Arbeit an Organisation, Koordination und Übungszeiten. Aber mit einem großartigen Ergebnis. Junge Musikschüler*innen, Studierende und Profi Musiker*innen zusammen boten ein wunderbares Konzert.

Schnitt. Auf der Bühne am Rodelberg gab es ein weiteres Highlight. Die französische Pianistin Eve Risser trat mit dem Red Desert Orchestra auf. Ein Projekt mit Musiker*innen aus Frankreich, Deutschland, Belgien und Burkina Faso. Temperamentvolle Rhythmen und delikate mikrotonale Klänge kommen hier zusammen. Zeitgenössische Musik, die stellenweise tanzbar ist und trotzdem vielschichtig und komplex bleibt. Großartig!

Schnitt. Zu meinem persönlichen Ausklang des Tages geht es in die Stadtkirche nach Moers. Hier wird nun vom SWR Vokalensemble endlich im Original aufgeführt, was immer mitschwingt, wenn der Name Ligeti fällt: Lux Aeterna. Danach bieten die Trondheim Voices hochkarätige Stimmkunst die sich auf das Werk bezieht und elektronisch von Stale Storlökken live bearbeitet wird: Lux Aeterna Organum Electricum. Das Publikum ist hellauf begeistert von den Gesangsdarbietungen und der Stimmkunst. Zum Abschluss spielte Annie Bloch auf der Kirchenorgel und Raisssa Mehner auf der elektrischen Gitarre,

Ein weiterer Tag gefüllt mit großartiger Musik völlig unterschiedlicher Färbung geht zu Ende.

Zwei Tage Moers Festival mit einer riesigen Bandbreite an aktueller Musik haben mir viel Anregung, Inspiration, ästhetischen Genuss und Nachdenklichkeit gegeben, manchmal auch für Irritation gesorgt, aber auch das war gut so. Mehr geht nicht. Und es gab ja noch viel viel mehr. Das Moers Festival ist auch nach 52 Jahren ein Aufreger und Anreger im besten Sinne geblieben. Dank an Tim Isfort und sein Team und alle Helfer*innen vor Ort, ihr habt einen tollen Job gemacht.

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