Empfindsamkeit gegen den Wahnsinn
Simin Tander in Düsseldorf
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Die Kunst des Gesangs muss etwas mit Magie zu tun haben. Wie kann es sonst möglich sein, dass eine Sängerin, die komplett kaum noch bei Stimme war und sich deswegen kurz vor ihrem Auftritt in der Jazzschmiede noch in der Düsseldorfer Uniklinik behandeln musste, jede Schwierigkeit und stimmliche Strapaze vergessen ließ, als erst mal die Musik die Geschicke lenkte. Die Rede ist von Simin Tander , die gerade eine Reihe von Live-Gigs mit ihrem „New Quartet“ absolviert, wo es vor allem um das Material von ihrem bahnbrechenden aktuellen Album „Unfading“ geht.
Der Auftritt in der Düsseldorfer Jazzschmiede begann aus obigen Gründen verspätet, aber dann war vom ersten Moment an die Welt eine andere. Wie samtig dunkle Farben umgibt einen Simin Tander s Stimme - und es sind diese rätselhaft verschlungenen Melodien, die stark von mittelöstlichen Stilistiken beeinflusst sind, die durch rätselhafte Gefühlslabyrinthe mäandern, melancholische Intervallsprünge passieren und alles im Dienst einer Botschaft steht, die nicht von dieser Welt zu sein scheint, aber eine erhabene Würde ausstrahlt. Man kann immer wieder zu neuen Versuchen abheben, die Art zu beschreiben, wie Simin Tander die Stimmung ihrer Songs mit ihrem Gesang und ihrer Bühnenpräsenz durchlebt - die Skala in Richtung Unaussprechlichkeit ist dabei weit nach oben offen.
Die Band liefert eine eindringliche Klangumgebung
Mit dieser Band, diesen Songs und dieser Klangwelt wirkt die in Köln lebende, deutsch-afghanische Künstlerin wie in einem ureigenen Zentrum tief angekommen. Und diese liefert eine eindringliche Klangumgebung dazu: Vor allem die norwegisch-indische Geigerin Harpret Bansal vereint sich mit ihrem Spiel wie eine zweite Stimme mit den Gesangslinien, wodurch das mittelöstliche Kolorit noch eindringlicher aufleuchtet. Der Schweizer Samuel Rohrer am Schlagzeug wartet mit einer breiten klangmalerischen Palette auf, desgleichen leistet der schwedische Bassgitarrist Björn Meyer. Und die vier (auch Simin Tander , mit frei improvisierten Vokalisen) kosten alle Freiräume für individuelle Entfaltung aus dem Moment heraus aus. Extrem wirkungsvoll erwies sich in Düsseldorf auch, als gegen Ende des Sets nochmal eine stärker rhythmisierte Version des tief berührenden Titelstücks „Unfading“ erklang.
Die Kraft des Weiblichen
Simin Tander singt bevorzugt auf Pashtu, einer der wichtigsten Sprachen in Afghanistan, an deren Klang man sich auch ohne Verständnis der Texte beim Hören berauschen kann. Jedem sei aber der Erwerb des Albums empfohlen, eben weil dort die Texte sämtlicher Songs auch in Übersetzung abgedruckt sind. Die Lektüre lohnt sich. Simin Tander hat Stücke aus Texten kreiiert, die ihr afghanischer Vater, ein angesehender Publizist und Schriftsteller hinterlassen hat. Ebenso hat sie sich der Songlyrik zahlreicher couragierter Autorinnen aus verschiedenen kulturellen Kontexten angenommen, um hier das weibliche Element über den Weg der Musik auch politisch wirksam Gehör verschafft. Vor einiger Zeit hat Simin Tander , die nach wie vor gute Kontakte zu Menschen in Afghanistan pflegt, in einem Interview mit der jazzthetik über die Zustände seit der Macht(wieder)ergreifung berichtet. Von totaler Unterdrückung von Frauen, aber auch beispielloser Kulturzerstörungen war die Rede. Der Abend in der Jazzschmiede wirkte gegen solchen Zivilisationsbrüchen wie ein wärmendes Refugium, um dem ganzen Wahnsinn in der Welt umso mehr kultivierte Empfindsamkeit entgegenzusetzen.