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Sich einmischen

Massive Attack überwältigte in Köln

Köln, 18.02.2016
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Christoph Giese (Archiv)

Wie sehr Jazz ein Rohstoff für andere musikalische Gefilde darstellt, demonstriert die britische Triphop-Band „Massive Attack“. Wohl ein Vielfaches an Musikbegeisterten kennt jene rollende, mit sanfter Vehemenz vorwärtstreibende Bassfigur als zentrales Element des frühen Massive-Attack-Stückes „Safe from Harm“ - und eben nicht als Fusionjazz-Nummer „Stratus“ von Billy Cobham aus dem Jahr 1973.

Gerade haben sich Massive Attack mit einem kurzen Live-Gastspiel in Deutschland zurück gemeldet. Im Kölner Palladium zog die legendäre britische Band aus Bristol in eine totale Multimedia-Performance hinein. Viel Hightech-Bilderflut und ebensolche meisterhaft dosierten Klangmassen waren hier natürlich zu erwarten. Dies alles direkt vor der Bühne hautnah zu erleben, war dann doch eine intensive Erfahrung mehr!

Im Jahr 2016 ist die politische und globale Wirklichkeit wieder präsent im Gesamtkunstwerk dieser Band und dies so aktuell wie möglich. Hightech-Animationen mit Statistiken, Slogans, Statements und manchmal schockierenden Bilderfluten erzeugen eine ständige Gratwanderung zwischen popkultureller Ästhetisierung und politischem Appell.

Auch als Band zeigt sich Massive Attack in Köln in absoluter Höchstform: Auf schleppenden Bässen erhebt sich eine kolossale elektronisch-gitarrenlastige Klangwelt. Sie hat gegenüber früher deutlich an dichtem „Wall of Sound“ des Gitarristen gewonnen. Sie ist schroffer, dissonanter, ja auch lauter geworden. Der integrierende Kosmos, den Massive Attack darstellt, taugt in jedem Moment der zweistündigen Performance für eine ständig wechselvolle Dramaturgie. Die melancholische Songpoesie vieler Stücke trifft durch ihre engagierte Neuinszenierung beim Kölner Konzert zuverlässig ins tiefste Innere. Musikstücke inszenieren, darum geht es. Wer das Glück hat, früh gekommen zu sein und in der schlauchförmigen Halle möglichst weit vorne zu stehen, wird Teilnehmender.

Was für großartige Stimmen integriert dieser Kosmos! Die schwarz maskierte Sängerin Martina Topley Bird bringt ihre sphärisch-helle Stimme in vielen Songs zum Gleißen. Eindringliche Höhepunkte stellen auch die Auftritte von Sänger Horace Andy dar. Dessen beschwörendes „Girl I love you“ findet eine beklemmende Überhöhung im Zusammenwirken mit suggestiven Bildern, die sehr viel sagen über die Unerträglichkeit einer der zurzeit stattfindenden größten humanitären Katastrophen seit dem zweiten Weltkrieg. Regelrecht dämonisch ist Horace Andys schneidender Gesang im Stück „Angel“, bevor die sechs Musiker an zwei Schlagzeugen plus Gitarre, Bass und Elektronik einmal mehr die psychedelischen Soundgewitter explodieren lassen.

Deborah Miller hat seit einigen Jahren die Rolle von Sängerin Shara Nelson übernommen, wenn es um wärmenden Soul geht. Denn das ist die andere Seite in der musikalischen Symbiose dieser zeitlosen Band. „Unfinished Sympathy“ wird später unter Debora Millers reifem, sirenenhaften Gesang zu einer Hymne voller verklärter Dekadenz. Musik soll auch die positive Kraft von Humanität transportieren und daher die Hörenden im Palladium mit Wärme betören. Dazu flimmern zum Schluss sogar zuversichtliche Slogans und Botschaften über die riesigen Projektionswände: Wir – als Menschheit im gesamten - können, wenn wir nur wollen! Etwa die ungleiche Verteilung der Ressourcen auf diesem Globus aufheben. Und so viel mehr.

Die Band aus Bristol verfolgt das Anliegen, sich lautstark und bildgewaltig (anders geht es in heutiger Zeit wohl nicht) „einzumischen“. Dies braucht die Popmusikkultur mehr denn je.

Massive Attack, die schon so oft verschiedene Musiker und Einflüsse integrierten, zeigen sich auch live auf der Kölner Bühne bemerkenswert öffnungswillig: Die hervorragende Vorgruppe „Young Fathers“ vereinigt sich im langen Zugabenblock mit Massive Attack zu einem gemeinsamen Ganzen. Zu Beginn des langen Abends hatte das Edinburgher Quartett dafür gesorgt, dass im Kölner Palladium auf Anhieb jede Nervenzelle der Zuhörer wach wurde: Pure, aufrührerische Energie wird frei, wenn die schwarzen und weißen Musiker sich die Seele aus dem Leib rappen, shouten, singen, spielen und trommeln. Vorbildhaft diese explosive Bühnenpräsenz!

Aufgrund restriktiver Fotografen-Regelungen seitens des Managements war eine angemessene Bebilderung dieses Beitrages leider nicht möglich. Wir haben daher auf Archivmaterial zurück gegriffen.

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