Schnittstelle zwischen Worten und Musik
Michael van Ahlen im Recklinghäuser Ratskeller
TEXT: Stefan Pieper |
Michael van Ahlens literarisches Wissen ist umfassend, ebenso sein tiefes Einfühlungsvermögen in die Musik. Zur Seite standen dem Rezitator dieser Jazz-Lesung ein sensibel aufspielendes Duo, das auch bei den Jazz-Sessions in der Altstadtschmiede gern gesehen ist: der Recklinghäuser Gitarrist Raimund Ekholt sowie der in Ungarn geborene Saxofonist Dennis Tiborc.
Faszinierend vielschichtig ist Michael van Ahlens Textauswahl für diesen Abend: Da werden etwa die harten Lebensbedingungen von Billy Holliday und Lester Young im New York der 1950er Jahre erlebbar. Für den Existenzphilosophen Jean Paul Sartre war der Jazz ein großes Vehikel für geistigen Freiheitsdrang auf der Höhe der Zeit. Sartres Schilderung vom Abspielen einer alten Schallplatte deckt sich durchaus mit Michael van Ahlens sinnlichen Empfindungen beim Hören einer Platte - wie er im Gespräch hinterher verriet. Reich an Metaphern beschreibt Julio Cortazar die ganze Magie eines Auftrittes von Thelonious Monk. Charles Mingus, schwarzer Bassist und Bandleader, schreit in einer sarkastischen Reportage über eine etwas unfreiwillige Tournee mit zwei wortkargen weißen Musikern, mit denen die Chemie definitiv nicht stimmt, seine Verbitterung über den Rassismus in Amerika heraus.
Da muss natürlich auch die Autobiografie von Miles Davis als schonungslose Polemik ins Spiel kommen. Van Ahlen wählt jene Passage, wo Miles Ende der 1980er Jahre als „Superstar“ in Weiße Haus eingeladen wird - was er als zutiefst verlogen empfindet, vor allem das oberflächliche Getue. Und Ernst Jandl als Literatur mit einer starken Affinität zum Jazz darf natürlich auch nicht fehlen, wenn hier schon die Essentials in Sachen Jazz-Schreibkunst herangezogen werden – dieser Autor macht mit Worten dort weiter, wo die Töne auch hinkommen. Frei, fantasievoll, manchmal umstürzlerisch. Michael van Ahlens konzentrierte, ruhige Vortragsweise ließ den Zuhörer an all diesen Schilderungen und Reflexionen wirklich hautnah dran sein!
Eine nicht minder beredte Musik-Sprache artikulieren Gitarrist Rainer Ekholt und Saxofonist Dennis Tiborc in ihrem unaufgeregten Duospiel zwischen den einzelnen Lesebeiträgen. In Standards aus fast 100 Jahren Jazzgeschichte lassen sie den ewigen Blues leben. Dennis Tiborcs Sound auf dem Tenorsax bebt und lodert, branded zuweilen in subtilen Crescendi auf. Rainer Ekholts rechte Hand erzeugt auf den Gitarrensaiten einen unerschütterlichen Puls. Auf dem Griffbrett malt er – fast durchgehend mehrstimmig - ein Kaleidoskop aus harmonischen Farben. Auch Balladen von Billie Holliday, „So what“ von Miles Davis oder „Blue Monk“ machen die beiden zu ihrer eigenen, tiefempfundenen Sache. Und vor allem – es swingt. Ein großer Abend!