Bild für Beitrag: Ruhrtriennale | Künstlerische Freiheit made in Beirut
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Ruhrtriennale

Künstlerische Freiheit made in Beirut

Essen, 26.08.2018
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Sabrina Richmann/Ruhrtriennale 2018

Je freier die musikalischen Ästhetiken, desto spontaner sind die Begegnungen – meint man normalerweise. Und viele der Sternstunden von spannungsvoll aufgeladener Reibung, brachialer Spielwut und loderndem Ideenfeuerwerk entstehen ja gerade durch diesen Blind-Date Effekt, dass Spieler sich vorbehaltlos aufeinander einlassen. Vorausgesetzt: Man ist ein verdammt guter Spieler, was ohne jahrelange, möglichst breitbandige Erfahrung nie geht.

Dass aber der Zustand von jahrzehntelangem Zusammengeschweißt-Sein in einer Band auch in der freien Improvisationsmusik die berühmten Berge versetzen kann, bewies unlängst bei der Ruhrtriennale ein Trio aus Beirut. Ja, richtig gelesen! Diese Stadt im Nahen Osten, ganz am Rande der Krisenregionen ist eine blühende vibrierende Kulturmetropole. Hört man den Musikern zu, wie sie über die kulturelle Offenheit in ihrer Heimat reden, man möchte sofort dahin reisen! Es gibt Festivals für frei improvisierte Musik – und noch besser, es gibt vor allem Musikereignisse in denen Genres, Stile und viele kulturell hungrige Menschen zusammen kommen. Ein solcher Nährboden hat auch das Beiruter „A-Trio“ hervor gebracht.

Was in Ruhe reifte, braucht sich auf der Bühne im Maschinenhaus der Essener Zeche Carl nicht zu suchen und zu finden, denn alle sind schon „da“: Stattdessen einigen die drei sich auf Anhieb auf ein gesamtes, verdichtetes Ganzes, welches keine Luft mehr zum Atmen lässt. Die Geräuschwelt des akustischen Basses von Tony Elieh, präpariert mit allem möglichen, stellt auf Anhieb klar, warum der Ort dieses Spektakels „Maschinenhaus“ heißt. Gitarrist Sharif Sehnaoui hat sein Instrument auf den Knien und traktiert es mit Hämmerchen wie auf einem persischen Santur – was aber überhaupt nicht fernöstlich, sondern eher industriell klingt.

Eigentlich haben wir sogar eine traditionelle Rollenverteilung: Zwei machen die Rhythmusgruppe, der andere ist Solist. Mazen Kerbajs “Trompetenspiel“ erinnert in seinem mimischen, oft fast absurd anmutenden Aktionismus an die Performance-Kunst eines Mauricio Kagel – aber weiß in jeder Sekunde um den ästhetischen Gehalt seiner Aktionen, bei der die Trompete selbst nur ein Part von vielen innerhalb einer komplexen Erzeugeunskette ist. Er stellt sie senkrecht, bläst sie durch einen Schlauch an, platziert eine Art Trommel auf dem Trichter, schmeißt Genstände hinein, alles scheppert und vibriert. Manchmal nimmt er sein Instrument, schwenkt es in wilder Geste herum, während die Luftströme durch einen langen Schlauch kommen.. Die Trompete schreit, seufzt und gellt und soliert dabei auch noch, während Ohr und Auge keine mehr voneinander getrennten Adressaten sind. Das Klanggeschehen ändert sich, die düsteren noisigen Drones gepaart mit gellenden Ausbrüchen mutieren zu einem Höhenflug der Sinusfrequenzen. Bassist lässt wie ein Maschinist die Muskeln spielen, ebenso ist der Gitarrenschlagwerke nicht klein zu kriegen. Eigentlich erleben wir die ganze Zeit einen einzigen Ton, oft in extremen Aggregatzuständen. Die Polarisierung des Publik, ist bei einer solchen Darbietung fröhlich mit einkalkuliert und auch in der Maschinenhalle klar definiert: circa ein Dutzend Zuhörer ergreift schon nach den ersten Minuten die Flucht – die anderen bekunden später durch dankbaren Beifall, wie sehr sie dieses Spektakel hypnotisiert hat.

„Gerade wenn man auf Festivals spiel, wo eben nicht nur Spezialistentum für neue Musik oder freie Im pro herumsitzen, wird man geschult, um ein Publikum wirklich zu packen und zu hypnotisieren“ plaudert Bassist Tony Elieh in der Pause von seinen Erfahrungen, noch sichtlich erschöpft von seinem Körpereinsatz um Puste ringend.

Auch wenn man diesem verspielten Tausendsassa namens Mazen Kerbaj die Trompete wegnehmen würde, gehen ihm noch lange nicht die Ideen aus. Im zweiten Teil dieses Gastspieles aus dem Nahen Osten greift er zur bildenden Kunst und macht von einer Art modernen Variante eines alten Schul-Tageslichtschreibers Gebrauch: Mit Malutensilien, gelochten Folien, einem Wasserzerstäuber und dem kleinen Propellerchen eines Milchaufschäumers wuchern wabernde und blubbernde Gebilde, welche der Beamer hoch über die Bühne projiziert. Ja, manchmal liegt auch im etwas Beliebigen die Freiheit der Kunst. Plausibel wird es, wenn daraus wieder ein mächtiges organisches Gesamtes entsteht: Als da wären ein E-Bassist und ein ebenso elektrischer Gitarrist, die sich in hypnotisch repetitiven Mustern irgendwas zwischen Noise, Ambient und Industrial duellieren - alles zusammen stellt die Dröhnung für alle Sinne, den Katharsiseffekt, das audiovisualle Narkotium sicher. Manchmal macht es auch einfach Sinn, das Gehirn auszuschalten.

Kompliment auf jeden Fall schon mal hier auch an Matthias Osterwold, der seit diesem Jahr die Geschicke in Sachen zeitgenössischer Musik bei der Ruhrtriennale mit viel Herzblut leitet!

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