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Riskante Musik: „Alles oder gar nichts“

Das neue, nahezu akustische Trio von Barbara Barth

Dortmund, 22.10.2020
TEXT: Martin Speer | FOTO: Kurt Rade

Auf wirklich Neues darf man sich immer freuen, wenn die Kölner Jazz-Chanteuse Barbara Barth eine neue Formation ins Leben ruft. Ihr wirklich erhabener Gesang zwischen Pop, Modern Jazz, Folk aus dem Norden und Avantgarde wird von den ebenfalls in Köln lebenden Musikern Sebastian Büscher (Tenorsaxofon, Bassklarinette) und Veit Steinmann (Violoncello) Dank großer Virtuosität und toller Arrangements fast orchestral unterstützt.

Im Rahmen einer Vorstellungsreihe der Kuratorinnen der feministischen Jazzvereinigung PENG! trat das seit Beginn feste Mitglied Barbara Barth im Domicil auf. Berücksichtigt man die durch neuesten Corona-Meldungen verbreitete Stimmung und die durch Ausweitung der Leerflächen verringerte Besucherzahl, war der Konzertsaal ganz gut besetzt. Man glaubt es kaum, aber auch das große domicil bangt um seine Zukunft.

Die PENG!-Gruppe, die bundesweit Anerkennung findet, kämpft für mehr Frauen im professionellen Jazz, die dort immer noch eine Minderheit sind. Mit Festivals und thematischen Konzertreisen wie dieser macht sie auf sich und weibliche Jazzmusikerinnen aufmerksam. Am Anfang wurden deshalb Videos gezeigt, Gesangskollegin Mara Minjoli moderierte eine multimediale Einführung, in der sie verkündete, dass das Kollektiv sich künftig nicht nur um Frauen, sondern um alle Minderheiten kümmern wolle. Hörte sich schon spannend an, wenn es etwa um Behinderte oder Autisten geht.

Barbara Barth ist mit ihrer wunderbaren, vielseitigen und mehrere Oktaven meisternden Stimme ein exzellentes Beispiel für mutige weibliche Jazzmusik, also war ihr Konzert im Anschluss auch ein ungeheurer Erfolg, der PENG! nur recht geben konnte. Mit „You, The Night and the Music“, einem 1935 im Broadway-Stück „Revenge with Music“ eingeführter, swingender „Pop“-Song aus der Hochphase dieser Ära, der unter anderem auch von Frank Sinatra, Stan Getz und Chet Baker vertont und ein Jazz-Standard wurde, startete sie ihr selbsternannt riskantes Programm. Das zeigte sich durch eine atonal klingende melodische Begleitung des Gesangs am Tenorsaxophon, ein „Schiefklang“, der aber bereits von Duke Ellington in seinen Orchestern verwandt wurde, und nach einer Weile auch eine wunderbare Auflösung fand. Barth improvisierte in hohen Lagen fast sphärisch innerhalb der modalen Möglichkeiten. In den tiefen Lagen übernahm Cellist Veit Steinmann den gezupften Basspart, der zugleich den Rhythmus durch Schlagen auf alle Saiten ersetzte.

Dieser Einstieg war nur ein Beispiel für die ungebremste Schaffenskraft dieses Trios, dessen Sängerin sich immer gerne an einfache Pop- und Folksongs wagte und mit dem Spiel zwischen Pop, neuer Elektronik und Modern Jazz unerhörte Stimmungen hinein brachte. Ausnahme diesmal: bis auf einen Song, der unheimlich schön-traurigen schottischen Folkballade „Ten Thousand Miles Away“, in dem der Cellist sich kräftiger Elekrtronik bediente, um durch Ringmodulator-ähnliche elektronische Einspielung der live gespielten Begleitung und Hinzufügen immer neuer Stimmen ein ganzes Orchester zu imitieren, und zugleich mit rhythmisch gezupften Parts wie eine Akustikgitarre zu klingen, und Barths zuletzt gesungenen Ton durch minimale Verzerrung höchstens eine Sekunde lang änderte. So wenig Elektronik, das klang ganz anders wie ihr letztes Duo mit Pianist/Keyboarder Manuel Krass, das sie auf der Platte In Spheres (JazzHausMusik, 2018), wo Elektronik in fast jedem Stück, auch einer schottischen Folkballade, tragend dabei war.

Wie beim Duo von 2018 spielte sie denn auch richtige aktuellere Popsongs: „Opened Once“ (1998) vom früh verstorbenen Jeff Buckley etwa, ein sehr trauriges Lied über eine nur halb gelebte, einzige Liebe. Sphärisch wieder die Stimme, den Text durch selbst erfundene melodische Linien immer leicht metaphorisch verändernd. Das Spiel mit dem Text macht einen besonderen Teil der Anziehungskraft Barbara Barth s aus. Tenorsaxofonist Sebastian Büscher spielt aneinandergereiht ganze Orchesterstimmen und sorgt für eine Dichte, dass es eine/n wie bei vielen anderen Stücken auch umhaut, wo er auch einmal eine sehr eigen gehauchte Bassklarinette spielt. Der Cellist ahmt auch noch einen slappenden Bass nach, was zudem für atemberaubende räumliche Klangweite sorgt.

Auch Barths eigene Stücke haben es sich in sich, gelebt improvisierend, pulsierend arrangiert und gespielt. So etwa „They Say“, das passend zum Konzert von den Anforderungen an eine Frau handelt, und mit dem Text sehr spielerisch umgegangen wird. Barths Solo ist durchsetzt mit rhythmischen Conga-Nachahmungen, der Cellist schlägt die unterschiedlich hohen Drumsequenzen auf verschiedenen Teilen des Holzkörpers. Mit „All Or Nothing At All“, welches nach ihrer Aussage auch die Risikobereitschaft Barths ausdrückt: „Wage alles oder nichts. Nur durch Risiko findest du zu etwas wunderbar Neuem“, endet das Konzert – zehn tatsächlich klanglich neue oder ältere Songs, dazu noch als Zugabe den Standard „Night and Day“, ebenfalls verfremdend und sich wieder annähernd, immer auf der Suche nach einer neuen Bedeutung. Das Publikum ist begeistert.

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