Bild für Beitrag: Rhythm it is! | Peter Erskine bei den Bochumer Symphonikern
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Rhythm it is!

Peter Erskine bei den Bochumer Symphonikern

Bochum, 28.06.2015
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker

Peter Erskine in Bochum – eine Sensation. Nicht in einem Jazzclub, den es in Bochum bis heute leider nicht gibt, nicht in der Jahrhunderthalle, nein, im Provisorium der Bochumer Symphoniker im Audi-Max der Ruhr-Universität und – man ahnt es – nicht im Veranstaltungskontext von Jazz im engeren Sinne. Zu erleben ist der Ausnahme-Drummer in einer Komposition von Mark-Anthony Turnage, die nach dem Schlagzeug-Künstler benannt ist: "Erskine" - Concertante for Drum Set and Orchestra.

Dem Haupt-Act des zweimal gebotenen Symphoniekonzertes der BoSys unter Leitung von Steven Sloane gehen die Symphonie Nr. 6 h-Moll op. 54 von Dmitri Schostakowitsch und George Gershwins Cuban Overture voraus. Mit diesen drei Werken steht das Abschlusskonzert dieser Saison ganz im Dienste des Rhythmus’ und der Perkussion. Die Programmierung ist dabei erkennbar auf Klimax angelegt: Der 1. Satz der Schostakowitsch-Symphonie ist ein lyrischer, stimmungsvoller Einstieg in das Symphoniekonzert. Die BoSys arbeiten diesen subtilen und fragilen 20-minütigen Largo-Satz wunderbar nuanciert und hoch konzentriert heraus, um die beiden Scherzo-haften Sätze, v.a. den 3. Presto-Galopp mit seinen chaotisch wirkenden Taktwechseln und (über-)akzentuierten Becken- und Paukenschlägen folgen zu lassen.

Ein Gefühl von karibisch lauen Sommerabenden bringen Gershwins Rumba- und Habanera-Rhythmen in den Hörsaal – elf Minuten farbenprächtige Latino-Dynamik mit komplexer dramatischer Musiksprache. Seinen Tanzimpuls muss man bei dieser Musik schon stark unterdrücken.

Zum Abschluss erweitert Peter Erskine an seinem Drum-Set die BoSys. Zu hören ist das nach ihm benannte rund 30-minütige vier-sätzige Konzert für Schlagzeug und Orchester des Engländers Mark-Anthony Turnage – vor zwei Jahren in Bonn uraufgeführt, Bochum erlebt nach Los Angeles und Helsinki die vierte und fünfte Aufführung. Im Jazz sieht Turnage „eine gewaltige Ressource für zeitgenössische Komponisten“. So kann es auch nicht verwundern, dass Turnage häufig Jazzsolisten in sein Werk integriert wie z.B. Dave Holland, Joe Lovano, John Patitucci, John Scofield und immer wieder Peter Erskine. Warum dies gerade Erskine ist, kann man leicht nachvollziehen, gehört dieser doch mit seiner Beteiligung an über 700 Alben zu den bei Musikern und Publikum anerkanntesten Jazzdrummern. Die vier Sätze sind nach Erskines Frau („Mutsy’s Habanera“) und seinen Kindern benannt, sie sind Ausdruck einer persönlichen Beziehung von Komponist und Solist und enthalten ein Panoptikum der unterschiedlichen Drumstile des Jazz, ja der Drum-Geschichte im Jazz. Herauszuhören ist bei dem Konzert das Reservoir an Erfahrungen, die Erskine in seiner mittlerweile 55-jährigen Drummer-Karriere aufzuweisen hat. Feinsinnig sind die verschiedenen Stile und zum Teil nur ihre Andeutungen in das Stück mit den Symphonikern eingebunden, für kurze Solo-Ausflüge wird Erskine immer wieder Gelegenheit gegeben. Wie viel improvisatorische Freiräume Turnages Komposition Erskine lässt, bleibt offen. Der Blick des Drummers auf sein Tablet ist relativ festgelegt und lässt vermuten, dass es sich weitgehend um notierte Musik handelt. Die definitorischen Grenzziehungen zwischen Komposition und Improvisation, zwischen Jazz und (zeitgenössischer) Konzertmusik, zwischen notierter Orchestermusik und „freiem“ Spiel sind eh müßig, wenn es schlicht gute Musik gibt.

Peter Erskine lobt zu Recht Steven Sloane und die BoSys, die mit großem Gespür und feinem Gehör die Komposition von Turnage herausarbeiten. Ein Konzert ganz im Fokus von Rhythmus und Perkussion: Den Bochumer Symphonikern unter Leitung von Steven Sloane gelingt auch hier wieder eine raffinierte dramaturgische Klammer für ein interessantes Musikprogramm, das die gängigen Pfade der Symphoniekonzerte verlässt. Ein rundum gelungener Saisonabschluss.

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