Reiche Quellen
Henning Sieverts Trio im Dorstener Leo
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Dorsten ist als Jazz-Standort gewissermaßen aus dem Dornröschenschlaf geweckt worden. Man erinnere sich: Es gab hier einst einen gut gehenden Jazzclub, der vor allem das Verdienst von Fritz Schmücker (zugleich Leiter des Jazzfestivals Münster) und Michael Klein (unter anderem Redakteur bei der Dorstener Zeitung war. Seit Anfang dieses Jahres hat Dorsten mit dem LEO ein neues Soziokulturzentrum – was lag da näher, alsauch den Jazz wieder zu beleben. Die Rechnung geht gut auf: Viele der Jazzfans von einst füllen als dankbares Publikum die neue Spielstätte – mitgebracht werden offene Ohren für musikalische Abenteuerlust. Zum Beispiel mit einem betont kammermusikalischen Trio unter Federführung des in München ansässigen Bassisten, Kontrabassisten, Musikjournalisten und Schriftsteller Henning Sieverts.
Man wollte oft die Augen schließen, um diese empfindsamen Klang- und Stimmungsbilder noch besser zu verinnerlichen. Wer sich im Dorstener Kulturzentrum LEO in dieses außergewöhliche Jazztrio hineingehört hatte, wurde ausgiebig belohnt. Der musikalische Reichtum des Henning Sieverts Trio braucht keine lautstarken Effekte und erschließt sich vor allem jenseits vordergründiger Oberflächen. Kammermusikalisch sensibel und grenzenlos kreativ Henning Sieverts, der Berliner Gitarrist Ronny Graupe sowie Posaunist Nils Wogram, dessen lässige Bühnenpräsenz und ebenso geschmeidige Phrasierungstechnik ohnehin schon ein Abendprogramm für sich wäre. Sieverts als klarer Ideengeber verschaltet und vernetzt in seinen Kompositionen mannigfaltige reiche Quellen: Das kann eine trickreiche Bearbeitung von Bebop-Themen sein oder auch mal ein Gesangsstück aus der Rennaissance – vor allem solche formstrenge Materie kommt Sieverts Vorliebe für geometrische Strukturen entgegen. Was zählt, ist der gerne etwas verspielte und immer wieder überraschende Umgang mit so etwas. Da wird zuweilen mal ein Renaissance-Stück von Guillaume de Machaut mittendrin rückwärts gespielt oder über eine Tonskala von Olivier Messiaen spielfreudig fantasiert. Sieverts kann sich auf seine Mitmusiker bestens verlassen, denn die Instrumentenbeherrschung ist bei allen dreien spektakulär. War es gerade noch neutönerisch-atonal, betört im nächsten Moment eine hinreißende Melodie. Zuweilen entstehen Bilder voller betörender Ruhe und Schönheit – und auch der Humor fehlt nie. So geht sensibler Jazz, der aus dem Heute kommt, der sich ständig und in unermüdlicher Beweglichkeit jeder Kategorisierung entzieht!