Bild für Beitrag: Recklinghausen Blues | Joscho Stephan wurde in der Kunsthalle gefeiert
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Recklinghausen Blues

Joscho Stephan wurde in der Kunsthalle gefeiert

Recklinghausen, 07.03.2025
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Ingo Marmulla

Für den vielgefragten Gitarristen Joscho Stephan war es ein besonderer Auftritt in der Recklinghauser Kunsthalle. Zum ersten Mal präsentierte er sich dem Publikum in einem Solokonzert ohne Begleitung. Dass diese Konzertreihe und speziell dieser Musiker aus Mönchengladbach mächtig Ausstrahlung haben, zeigte sich schon vor dem Konzert: Alle Plätze waren schnell komplett ausgebucht, viele Interessenten mussten aufgrund der begrenzten Kapazität der Kunsthalle sogar abgewiesen werden.

Nun also Joscho Stephan. Der Saitenartist und heutige Botschafter für eine lebendige Gypsy-Swing-Tradition beglückte sein Publikum mit einer gelungenen Symbiose aus technischer Brillanz und kommunikativer Wärme, die sich unmittelbar aufs Publikum übertrug.

Jede Gitarre hat ihren eigenen Klangcharakter Stephans Spiel besticht durch die virtuose Beherrschung verschiedenster Techniken – temporeich und melodisch eingängig, dabei stets filigran und nuancenreich. Er hatte drei verschiedene Instrumente im Gepäck, zwischen denen er während des Konzerts meisterhaft wechselte: Eine ältere Gibson-Vollresonanzgitarre, die er erst kürzlich erworben hatte, eine speziell in Deutschland gefertigte Django-Reinhardt-Gitarre sowie eine Klassische Konzertgitarre. Die extrem wertvolle Gibson habe Stephan sich gerade frisch von seiner Gage gekauft – ob das ernst gemeint war? Schön wäre es in Bezug auf die Verdienstmöglichkeiten durch Livekonzerte, aber das ist ein anderes Thema.

Mit faszinierender Virtuosität entlockte Stephan jedem dieser Instrumente seinen eigenen Klangcharakter. Sein facettenreiches Programm umfasste frisch aufpolierte Standards wie "All Of Me" und "Limehouse Blues", klassische Django-Reinhardt-Kompositionen wie "Nuages" und "Minor Blues", sowie weniger bekannte Stücke wie „Valse Musette", der Reinhardts Vorliebe für die Musikform im Dreivierteltakt offenbarte. 

Der autodidaktische Weg zur Meisterschaft

Spürbar in Stephans Spielfluss ist der beschwingte Freigeist, wie er gerade Autodidakten so typisch ist – und das trifft auf ihn besonders zu: Über seinen Vater kam er früh mit Beatmusik in Berührung. Nach Ausflügen in die Popmusik und die klassische Gitarre entschied er sich bewusst für den Gypsy Jazz in der Tradition Django Reinhardts. Dabei hat er jedoch nicht einfach kopiert, sondern konsequent seinen eigenen Weg beschritten. Stephan erwies sich zudem als eloquenter Entertainer mit einem besonderen Gespür für humorvolle und informative Überleitungen zwischen den Stücken. Er streute Anekdoten zum Gitarrensammeln ein, lieferte fundierte Einblicke zu seinem gitarristischen Idol und treffende Kommentare zu den gespielten Stücken. Auch nachdenklichere Töne schlug er an, etwa zur Debatte um den Begriff "Gypsy Jazz", für dessen Beibehaltung er sich ausspricht – trotz der Tatsache, dass sein Großvater Roma-Wurzeln hatte. Bei so viel Publikumsresonanz war es Ehrensache, zum Schluss noch einen spontanen "Recklinghausen Blues" zu improvisieren – eine musikalische Verbeugung vor diesem besonderen Gastgeberort mit seiner für Jazzverhältnisse traumhaften Publikumsresonanz. Diese setzte sich während der Pause und nach dem Konzert in einem tatsächlich rekordverdächtigen CD-Umsatz fort.

Jazz trifft Kunst

Der Auftritt fand im Rahmen der etablierten Reihe „Jazz in der Kunsthalle - Die Sparda Lounge“ statt, eine Jazzreihe, die von der Striftung-Bank West gefördert wird und die jedes Mal das Musikerlebnis mit Führungen durch die aktuelle Kunstausstellung verbindet. Vor der Veranstaltung führte Kerstin Weber das Konzertpublikum durch die Jubiläumsausstellung „75 Jahre Kunsthalle Recklinghausen. Die Anfänge: Radical Innovations“.

Die letzte Veranstaltung der aktuellen Programmperiode 2024/25 findet am 4. April mit der talentierten Vibrafonistin Carlotta Ribbe und dem Jazz Lounge Akestra statt– ein weiterer Höhepunkt, auf den Jazzliebhaber gespannt sein dürfen. Unter dem Titel 'Mallet and Strings' werden neben Carlotta Ribbe am Vibrafon auch Carl Zinsius (Schlagzeug), Ingo Senst (Bass), Matthias Bergmann (Flügelhorn) sowie Ingo Marmulla (Gitarre und Leitung) zu erleben sein.

Parallel dazu steht am 19. März im Festspielhaus das Konzert "Time Remembered" mit dem Caspar van Meel Quartett an. Der Bassist und Bandleader Caspar van Meel präsentiert an diesem Mittwochabend um 19.30 Uhr seine persönliche Interpretation der Musik des impressionistischen Komponisten Erik Satie. Mit dabei sind Ryan Carniaux an der Trompete, Franz von Chossy am Klavier und Niklas Walter am Schlagzeug.

Dieser Abend ist vorerst die letzte Veranstaltung dieser jungen Konzertreihe, mit der seit 2024 der Jazz auch seinen Weg ins Recklinghauser Theater gefunden hat. Stehen geplante Renovierungsmaßnahmen oder eine konzeptionelle Neuausrichtung dahinter, welche den vielversprechenden Auftakt der neuen Reihe im Festspielhaus schon jetzt wieder zur Disposition stellen? Die bereits gelaufenen Konzerte an diesem Ort liefen allesamt auf unvergleichliche Abende hinaus und waren auch gut besucht. Überhaupt ist es Ingo Marmulla s jahrzehntelangem Engagement zu verdanken, dass die (qualitativ und quantitativ) beachtliche und generationenübergreifende NRW-Jazzszene in Recklinghausen genau das bekommt, was sie verdient: ein dankbares, aufgeschlossenes Publikum.

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