Random Control im Sommerwind
Hoch auf der Halde Rheinpreußen
TEXT: Peter E.Rytz | FOTO: Peter E. Rytz
Wann hat jemals ein Alphorn über dem Ruhrgebiet getönt? Wie kommt ein Klavier auf die Halde Rheinpreußen in Moers-Meerbeck? Wie klingen Holzblasinstrumente auf dieser windigen Anhöhe? Wer hat so viel Mut, eine musikalische Expedition auf 103 m ü. N.N. unter dem rot überkragenden Geleucht, einer überdimensionierten Grubenlampe nach einer Idee von Otto Piene, zu organisieren?
Musiker und Konzertveranstalter, die sich den Herausforderungen der Corona-Pandemie kreativ stellen, nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern sich, wie die Kulturprojekte Niederrhein e.V. in den Wind stellen, können nur gewinnen. Das zeigt dieses Konzert mit David Helbock‘s Random/Control an jenem exponierten Ort.
Angeführt vom Vorsitzenden Rüdiger Eichholtz, haben die Kulturprojekte mit Unterstützung des Kulturbüros der Stadt Moers die Halde Rheinpreußen dafür geentert. Sie haben mit Random Control die abenteuerlustigen Musiker gefunden, die es dafür braucht.
David Helbock‘s Random/Control ist schon dem Namen nach Programm. Der Pianist David Helbock (Piano, Inside Piano, Electronics, Percussion) sowie die multiinstrumentalen Bläservirtuosen Johannes Bär (Trumpet, Bassflügelhorn, Sousaphone, Tuba, Alphorn, Beatbox, Electronics, Percussion) und Andreas Broger (Sopransax, Tenorsax, Clarinet, Bassclarinet, Flute, Recorder, Flügelhorn) musizieren in der Anmutung eines kontrollierten Zufalls (Random Control).
Unbeeindruckt, vielmehr fast kämpferisch entschlossen, stellen sie sich in den mit der untergehenden Sonne zunehmenden, von Kälteschauern gepeitschten Wind. Mit einer Auswahl von Helbocks Jazz-Pianists Favorites - von Cedar Walton mit Bolivia, Chick Corea mit Spain, Keith Jarrett mit My Song bis zu Dave Brubeck mit Take Five sowie einer Eigenkomposition Soul, einer Hommage an Esbjörn Svensson – fluten sie mit flirrenden Sounds die Landmarke auf der Halde.
So fern die Alpen ihrer österreichischen Heimat, so nah jodelt das Alphorn über dieses vergleichsweise kleine Hügelchen. Über dem rot gestrichenen Geleucht weitet sich der Himmel ins universal Endlose. Ein melancholisch romantischer Zauber ganz eigener Art legt sich über die überschaubare Anzahl der Zuhörer. Jeder Einzelne allein mit seinem über das westliche Ruhrgebiet, über die im Mittelgrund gelegenen Rheinbrücke bis weit in die Niederrhein-Aue schweifenden Blick, miteinander für 90 Minuten eine Hörgemeinschaft bildend, die diesen einzigartigen Moment genießt.
Wenn sich Bär mit Broger beispielhaft zu einem Dialog von Tuba und Percussion mit Saxophon zusammenfinden, Helbock wie beiläufig kommentiert, sind bis zu sieben Instrumente auszumachen, die von drei Musikern ins Spiel gebracht werden. In wechselnden, facettenreichen Dialogen ist dabei immer spürbar, dass sie über die Jahre einen sehr eigenständigen Sound mit hohem Wiedererkennungseffekt entwickelt haben.
Egal, ob sie sich aus dem Reservoir der österreichische Volksmusik bedienen oder, wie genannt, Standards spielen, nie kopieren oder covern sie billig. Noch das Alphorn, von Bär mit retardierenden Atemstößen beatmet und bejodelt, erhebt sich jenseits eines allein dem Exotischen verpflichteten Hör-Voyeurismus. Es ist vielmehr eine energetisch aufgeladene Tour d’Horizon, wie auch auf der 2018 veröffentlichten CD nachzuhören ist (tour d’horizon from brubeck to zawinul).
Dafür dass, wenn David Helbock spielt, man Neues erlebt, es nie verkopfte Musik ist, eine, die vielmehr den Kopf und den Körper mitreißt (Roland Spiegel, Bayerischer Rundfunk), spendet das Geleucht den atmosphärischen Wind-Raum an diesem eindrucksvollen Abend.
Brubecks Take Five trägt das Alphorn mit Piano und Saxophon wie einen Jodelgruß über die Halde Rheinpreußen. Er begleitet noch den viertelstündigen Abstieg zum Parkplatz wie ein paraphrasierender, über Jahrzehnte den Rhythmus von Raum und Zeit bestimmender Bergmannsgruß.
01.07.2020