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Pures Glück

Wayne Shorter Quartet in Essen

Essen, 11.11.2013
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker

Was für ein Musikereignis!!! Das Wayne Shorter Quartet im Alfried-Krupp-Saal in der Essener Philharmonie. Die Verkörperung der Jazz-Geschichte von Art Blakey’s Jazz Messengers und dem zweiten Miles Davis Quintet an, zusätzlich den Begründer von Weather Report leibhaftig und nun die Formation, die zum ersten Mal auch seinen Namen trägt, erleben zu dürfen, das kann man schon als Glück bezeichnen. Die 1.300 Zuhörer in der Essener Philharmonie konnten in diesem Sinne ein Quartett erleben, das mit Wayne Shorter am Tenor- und Sopransaxophon, Brian Blade an den Drums, John Patitucci am Kontrabass und Danilo Perez am Flügel wahre Giganten des Jazz umfasst, ein Quartett, das eine seltene Form des gleichberechtigten Miteinander in dieser Hochform des Eingespieltseins, der „Harmonie“ darstellt.

Selten präsentiert sich eine Vierer-Formation in dieser Abkehr vom Gängigen in mehrfacher Hinsicht: in ästhetisch-musikalischer sowieso, dazu gleich mehr, aber auch in der Art und Weise ihres Zusammenspiels. Während vielleicht eher zu erwarten ist, dass die Sidemen lediglich die Basis für die solistischen Höhenflüge für die Jazzlegende böten, merkt man dem Wayne Shorter Quartet den grundsätzlich anderen, eben emanzipierten Stellenwert aller Bandmitglieder an. Alle geben ihr Bestes, und das ist wahrlich vom Ideenreichtum und der gemeinsam entwickelten Energie vom Feinsten.

Zu erleben war in Essen ein Konzert, bei dem musikalische Meisterschaft sich offensichtlich nicht allein in purer Virtuosität erschöpft. Vielmehr konnte man Zeuge sein von einem Prozess des „Zero Gravity“ – einer Chiffre, mit der Shorter die Methode des Quartetts umschreibt, einem Prozess, der immer wieder von allen Quartett-Mitgliedern neue Pfade der musikalischen Erkundung gehen lässt, der genau diese Freiheit unabhängig von harmonischen und motivischen Mustern voraus- und freisetzt und damit immer Reisen in ein gewisses Neuland ermöglicht. Der ob dieses Spiels völlig euphorisierte Rezensent machte sich gar nicht mehr die Mühe, die einzelnen Titel erkennen oder ihre kurzen Andeutungen im Spiel des Quartetts wiedererkennen zu wollen. Er ließ sich ein auf ein Fließen der Musik in dieser Vierer-Interaktion, die eine schier unglaubliche Kraft freisetzt, die dem Titel ihrer gerade herausgegebenen CD „Without a Net“ alle Ehre macht. Man darf einer Zeremonie beiwohnen, die dem Quartett seit ihrem Bestehen und ihrer ersten gemeinsamen CD ‚Footprints live’ von 2002 eigen ist: dem Kreieren einer Musik, die aus dem Moment erschaffen ist, die eine Energie und Eindringlichkeit entwickelt, die Wayne Shorter in der kürzlich bei Arte gezeigten Film-Dokumentation von Guido Lukoschek („The Language of the Unknown“) so umschrieben hat: Den Mut zum Unerwarteten, zum Risiko, das Ausprobieren sieht er als Konstante seiner musikalischen Arbeit. Dem praktizierenden Buddhisten ist dies ein Lebens- und Kunstprinzip.

Dem Quartett ist dieses Prinzip vom Anfang des Konzerts an anzumerken. Kurze Läufe des Piano beginnen, dazu gibt es erste tastende Schläge von Brian Blade auf den Drums, John Patitucci sucht mit ein paar Läufen auf dem Bass den Einstieg, der Maestro überlegt noch unschlüssig, mit welchem Sax er beginnen soll, er nimmt erst das Sopran, dann entschließt er sich doch für das Tenor: und auf geht die Reise, die in einer immer mehr sich steigernden Dynamik alle Vier zu einem gemeinsamen Höhenflug steigern lässt. Danilo Perez deutet am Piano harmonische und rhythmische Grundmuster an und führt sie facettenreich aus, was wiederum dem Bass von John Patitucci kraftvolle geschmeidige Läufe entlockt, die wiederum sich wunderbar gegenseitig mit dem Schlagzeug von Brian Blade steigern, der das Schlagzeug vom bloßen Taktgeber meilenweit entfernt und ein lyrisch-verspieltes bis brachial-verstörendes Traktieren seiner Drums zelebriert. Und dann setzt der Ton Shorters ein, vibrato- und schnörkellos, von klarer nahezu asketischer Schönheit und Eleganz, ohne dass er sich mit seinem Spiel in den Lichtkegel einer Solo-Show setzen wollte. Sein Sax-Sound ist puristisch, indem er das, was er auf seinem Instrument zu sagen hat, kurz und knapp, manchmal nur in einer Andeutung, manchmal aber auch bis zur Erschöpfungsgrenze ausbreitet. Letzteres gilt vor allem für sein Sopran-Spiel.

Immer schlagen alle Vier bei den verschiedenen Stücken einen überraschenden Haken, nachdem sie sich vorsichtig ausprobieren und einander tastend annähern und schließlich zu einem energiegeladenen Zusammenspiel, einem gemeinsamen Flow mit einer gewissen Steigerung zusammenfinden. Shorter umschreibt diesen Zustand treffend in dem o.g. Film mit dem Bild der Lotusblume, die sich entfaltet und das umliegende Wasser in absoluter Klarheit lässt.

Die Stärke des Quartetts ist sicherlich neben der Sensibilität der drei Vertreter der eher jüngeren Jazz-Generation gegenüber der 80-jährigen Jazzlegende und ihrer fundierten Kenntnis und kreativen Weiterentwicklung der Jazztradition darin begründet, dass alle im Quartett eine souveräne und selbstbewusste Stellung einnehmen und damit in ihrem Spiel eine absolute Freiheit ausleben. Wayne Shorters Genialität als Bandleader ist damit zu fassen, dass er diese Freiheit ermöglicht und zulässt – gemäß seinem in der Dokumentation geäußerten Credo („simple answer“): „ You have to do what you want to do. But what you have to do is interact with other people, so that you can do what you want to do. That helps them to do what they want to do.“

Wir haben in Essen genau diesen interaktiven Ansatz in seiner wundervollen Realisation erleben dürfen - ein wahrhaft überragendes Quartett, das beste, das es im Augenblick weltweit gibt. Wir können sagen, wir seien dabei gewesen.

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