Positiv und lebensbejahend
Oslo Jazz Festival 2011
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Christoph Giese
Natürlich konnte diesesEvent nicht so ganz ohne Kommentar zur Tagesordnung übergehen. Zu tiefe Spuren hat die Wahnsinnstat von Anders Behring Breivik im Juli in Oslo und auf der Insel Utøya in der norwegischen Gesellschaft hinterlassen. Gleich in der Begrüßung im Programmheft geht Festivalleiter Edvard Askeland deshalb auch auf das schreckliche Attentat ein. Und auch die Domkirche im Stadtzentrum war nicht nur wiederum Spielort des „Oslo Jazz Festivals“, sondern mit seinem Blumenmeer draußen vor der Kirche auch nach wie vor Trauerstelle für die geschockten Norweger.
Beim Festival selbst herrschte schließlich aber eine positive, eine lebensbejahende Stimmung. Und das zu Recht, waren doch eine Menge spannende Konzerte und Projekte im Angebot. Etwa das Trio von Trompeter Nils Petter Molvær mit Drummer Erland Dahlen und Gitarrist Stian Westerhus, der sich einmal mehr als wahnsinnig kreativer Soundmagier präsentierte mit seiner herrlich düster-tiefen und rockig verzerrten Gitarre. Auch wenn Molværs Soundwelt sich nicht grundlegend geändert hat in den letzten Jahren, so ist es immer noch spannend, seinem Trio auf seinem audiovisuellen Trip zwischen rockig-lauten, dröhnenden Klangbildern und intimen, leisen Momenten mit dem typisch ätherischen Trompetenspiel des Bandleaders zu begleiten.
Trygve Seim spielte mit seinem neunköpfigen Ensemble eines von mehreren Konzerten in der Kulturkirche Jakob, einem passenden Spielort für Musik an den Schnittstellen von Jazz, Klassik und Folk. Und wie Seim, Trompeter Arve Henriksen und all die anderen die Stimmung der Kirche für ihre manchmal aber auch ein wenig zu verträumten Klänge nutzen, war ebenso schön zu erleben wie an gleicher Stelle zwei Tage zuvor das ambitionierte Projekt „Magnetic Book“ des Pianisten Jon Balke, der mit einer illustren Band und Streichern ebenfalls grenzüberschreitende, zauberhafte Klänge zwischen Komposition und Improvisation anzubieten hatte.
Eine der prägenden Figuren der kreativen norwegischen Jazzszene ist seit vielen Jahren der Pianist, Produzent und Labelbetreiber Bugge Wesseltoft, der vom Festival eine Einladung bekam, ein spezielles Projekt präsentieren zu dürfen. So lud Wesseltoft Musiker ein, mit denen er im Laufe der Jahre zusammengearbeitet hat. Den französischen Trompeter Erik Truffaz, den in Schweden geborenen, türkischen Saxofonisten und Betreiber des New Yorker Jazzclubs Nublu, Ilhan Ersahin, den New Yorker DJ Joe Claussell sowie klangvolle norwegische Namen wie Marius Reksjøe oder Andreas Bye. Doch das voller Spannung erwartete Konzert blieb ohne große Überraschungen. Natürlich war es beeindruckend, wie sich Wesseltoft und Claussell gesampelte und geloopte Beats gegenseitig zuwarfen und darauf reagierten. Die Club-Beats gingen in die Beine, und darüber durften sich dann die beiden Bläser austoben. Nur, das alles kannte und kennt man so ähnlich von Bugge Wesseltoft schon von seiner inzwischen ja abgeschlossenen New Conception Of Jazz-Bandphase. Das Publikum aber feierte den Mann mit der markanten Brille, der zur Zugabe noch die vor ihm aufgetretene Sängerin Torun Eriksen auf die Bühne holte.
Humcrush, das Duo des Keyboarders Ståle Storløkken und des Drummers Thomas Strønen, hat live beim letztjährigen Willisau-Festival in der Schweiz zusammen mit der Sängerin Sidsel Endresen das jetzt frisch erscheinende Album „Ha!“ (rune grammofon/Cargo)eingespielt. In Oslo zeigten diese drei, wie gemeinsames Improvisieren klingen kann. Alle haben eine ganz individuelle Art, Musik offen und frei und doch mit Verknüpfungspunkten untereinander zu gestalten. Konzert und CD beweisen das auf eindrucksvolle Weise. Beeindruckend auch das Quartett des schwedischen Altsaxofonisten Fredrik Kronkvist. Kraftvoll, feurig und ideenreich spielte der Bandleader in Oslo auf. So macht schnörkelloser moderner Mainstream-Jazz richtig Freude. Das Trio des Pianisten Espen Eriksen beglückte dagegen mit einem sehr lyrischen Jazz, den die drei Musiker aber immer wieder rechtzeitig auch mal aufbrachen hin zu forscheren Momenten, bevor die Gefahr entstand, zu lieblich und zu brav zu klingen. Auch das sehr ambitionierte, neue Projekt „På Gyllen Grunn“ (Auf heiligem Grund) der Sängerin Anita Skorgan in der Domkirche, ein Songzyklus über das Leben von der Entstehung, der Geburt über Liebe bis hin zum Tod, basierend auf Volksliedern mit Texten von Erik Hillestad, pendelte hin und her. Zwischen lieblicher Folklorestimmung und teils dunklen, von zarter Elektronik bearbeiteten Klängen. Dafür verantwortlich: Trommler Helge Norbakken und vor allem Gitarrist Eivind Aarset und Trompeter Arve Henriksen, die ganz subtil ihre Sounds in die ans Herz gehenden Songs mischten und sie damit wunderbar aufrauten.
Auch der Nachwuchs bekam beim „Oslo Jazz Festival“ auf einer Open Air-Bühne mitten auf der Haupteinkaufsstraße einmal mehr Raum sich zu präsentieren. Bei der Formation Rapjazz war der Schlagzeuger gerade mal elf Jahre alt, der kess auftretende Rapper des Quartetts sicher nicht viel älter. Abends standen diese Jungs dann ganz vorne an der Bühne des Parkteatret beim einmal mehr rundum überzeugenden Mathias Eick Quintet und schauten gebannt zu. Anregungen holen für die vielleicht einmal eigene Karriere.