Popsong-Melodien von barocken Elementen umkleidet
Das Kaiser Quartett begeisterte in der Scharoun-Aula
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Man sollte manche Dinge nicht wörtlich nehmen. Oder vielleicht doch gerade? Auf der Einladungsmail zu diesem Konzert stand, dass dieser Konzertabend „gestrichen“ würde. Aber zum Glück nicht im Sinne von gecancelt, denn dafür war das Publikumsinteresse nun doch zu groß – bei einem Hamburger Streichquartett, die teilweise mit ihren Stücken sogar in die Pop-Charts kommen, die Kooperationen mit Chilly Gonzales , Jarvis Cocker und solchen großen Nummern vorweisen können. Aber dann wurde nicht nur gestrichen, sondern auch gezupft – und auch gesungen. Ebenfalls sehr viel moderiert, was alles zusammen auf ein schönes Miteinander hinauslief. Passend für Marls Scharoun-Aula, die sich seit den letzten Jahren doch wieder zu einem regelmäßig Programm bietenden Konzert-Ort entwickelt hat. Inmitten eines Lern-Ortes, der nun auch auf Vermittlung abzielt.
Was es hier zu vermitteln gab
Die Welt des Streichquartetts ist so universell, dass es schade wäre, wenn sie allein im Bereich der hohen, spezialisierten Hochkultur unterwegs wäre. Zwar kommen die Hamburger von hier – aber sie haben ihre feine Kunst einem neuen Aufgabengebiet zugeführt. In Marls Scharoun-Aula waren sie sich, beim Konzert im Rahmen der Konzertreihe FineArtJazz, zu viert selbst genug.
Aus lyrischen Texturen wurden Popsong-Melodien, von barocken Elementen umkleidet, was zu Anfang wie eine Ouvertüre wirkte und wo ein unaufgeregtes Akkordgewoge manchmal gar etwas zu viel "neoklassische" Gefälligkeit erzeugte.
Aber wie das alles klingt!
Phänomenal wirkt, wie sie in tänzelnden Streicher-Groove ihre gestrichene und gezupfte Saitenkunst zu dosieren wissen, wie dieses manchmal schon fast orchestrale Gefüge im Crescendo atmet.
Teil zwei nach der Pause wurde deutlich diverser – und noch pop-affiner. Die Violinistin Amanda Bailey, die für den etatmäßigen Violonisten Adam Zolynski, eingesprungen war, macht auch als Sängerin eine fabelhafte Figur, vor allem in der Kult-Nummer „Empire“ – ein Stück, das eine Prise Indie-Folk und auch R&B im kammermusikalischen Format aufblühen lässt. Es sind nicht einfach nur Crossover, sondern Songs mit tiefsinnigen Geschichten. Man kommt ins Nachdenken darüber, dass Mozart und Co. in ihrer Zeit auch so etwas wie Popmusik schufen.
Keine Aneinanderreihung von Coverversionen
Konsequent verweigert diese Band sich dem gängigen Crossover-Trend zur Aneinanderreihung von vielen Coverversionen und setzt ausschließlich auf selbst komponierte Stücke mit viel Hintergrundstory. Das alles wirkte als Einladung, am besten mit einem Sektchen intus, sich der gechillten Fröhlichkeit hinzugeben.
Gut auch, zwischen dem ersten und zweiten Set auf anderes Sounddesign zu setzen, so war zunächst die ganze kammermusikalische Pracht möglichst akustisch zu erleben und in zunehmendem Maße elektrisch verstärkt, lieferte das Kaiser Quartett nach der Pause schließlich echten Breitwand-Sound, um die Scharoun-Aula, die sich mit solchen Darbietungen einmal mehr als Ort kreativer Vielfalt profiliert, zur „Großraumdisco“ zu machen. So heißt eine mitreißende Nummer, die mit 90iger-Jahre-Rave-Attributen kokettiert und wo auch mal Kreditkarten als „Plektrons“ für die Saiten zweckentfremdet wurden.