Bild für Beitrag: Poesie von Pastiktüten | Jens Düppes „Dancing Beauty“ auf der Burg Lüttinghof
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Poesie von Pastiktüten

Jens Düppes „Dancing Beauty“ auf der Burg Lüttinghof

Gelsenkirchen, 01.03.2018
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Wenn ein Schlagzeuger zu seinem Solo die Drumsticks aus der Hand nimmt, stattdessen eine Cellophantüte zerknautscht und dies auch minutenlang fortsetzt, dann lebt hier das „Spielerische im Ernsten“, wie es dem Musik-Querdenker John Cage ein Anliegen war. Cage ist heute weniger wegen seiner Kompositionen berühmt - was angesichts der puren Schönheit vieler seiner Stücke ein krasses Fehlurteil ist! - sondern vor allem wegen seiner Denkansätze, die den freien Fluss der Kreativität postuliert. Der in Köln lebende Schlagzeuger Jens Düppe ließ sich von Cages Gedankenwelt für die eigene künstlerische Haltung inspirieren. Was, wenn nicht der Jazz in seiner grenzenlosen Variabilität ist doch die ideale Spielwiese für alle Denkweisen des John Cage - der übrigens selbst nicht viel von Jazz hielt!

Für Jens Düppe sowie Frederik Köster, Trompete, Lars Duppler, Schlagzeug und Bassist Christian Ramond sind die Prinzipien des Amerikaners eher indirekte Inspirationsquellen. Szenische Experimente wie diese wundersame Choreografie mit der Plastiktüte sind beim Konzert auf der Burg Lüttinghof eher die Ausnahme. Vielmehr inspiriert Cages Freigeist diese vier Musiker dazu, ihr bestes zu geben, eben das zu entfalten, was diese vier aufgrund langjähriger Band-Erfahrung am besten miteinander können.

Das lebt vor allem im ersten Set ein tiefempfundenes, von melodischer Schönheit durchtränktes Spiel, wofür das Prädikat Kammerjazz im besten Sinne taugt. Dieses Konzert, weitgehend „unplugged“ realisiert, trägt der Akustik auf der Burg hervorragend Rechnung. Vor allem Jens Düppe hört sich sensibel in den Raum hinein – in keinem Moment „erschlägt“ das Schlagzeugspiel die anderen Instrumente. Wie Düppe die Felle streichelt und auch in Momenten großer spielerischer Dichte immer leichtfüßig bleibt, das lässt der Band um ihn herum ganz viel Luft zum atmen.

Auch Frederik Köster fühlt sich unter diesen Gegebenheiten wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser. Gab es an diesem Ort schon vorher mal einen derart ausdrucksmächtigen Trompeter, der unlängst zu Recht den ECHO-Jazz abräumen konnte? Herrlich offen, leuchtend und kraftvoll ist sein Spiel in jedem Moment. Er durchstürmt die Register, phrasiert auf einer weiten Ausdrucksskala - und allein, wohin Köster in großer Beweglichkeit sein Instrument ausrichtet, das ist schon Statement genug, um die Bühne und den Raum in bestem Sinne zu bespielen. Das Konzert auf Lüttinghof ist ein „Unikat“: Lars Duppler, der sonst auf der neuen CD den Konzertflügel bedient, wechselte hier zum Fender Rhodes. Eine sinnlich-coole Klangwelt ist die logische Konsequenz: Sie wärmt den Hörraum so, als würde wirklich mal ein Feuer in dem ehemaligen Kamin im alten Rittersaal brennen. Und Christian Ramond liefert mal wieder den richtigen Ton und den richtigen Lauf im richtigen Moment, unerschütterlich, hellwach, immer ganz nah dran an den Ideen seiner Mitstreiter.

So kann man getrost auf die Reise gehen an diesem Abend. Sehr geschickt wird das Material aus den beiden Alben dieser Band miteinander verwoben. Nach der Pause huldigt die Band einem intensiveren Powerplay – unterbrochen nur durch besagtes „Solo“ auf der zerknautschten Plastiktüte. Man könnte hier auch an die Prologszene von „American Beauty“ denken, wo eine im Wind tänzelnde Tüte eine ähnliche Poesie entfaltet – sehenswert!

Zum Höhepunkt wird die Final-Nummer: Sie setzt der genial einfachen Gedankenlogik von John Cage ein maximales spielerisches Feuerwerk unter dem Titel: „Everything we do is music“ entgegen. Eine aufsteigende Linie formt das hymnische Thema, überkochende Rhythmik türmt sich auf, bevor Köster eine flammende Trompetenlinie drüber legt, danach das Rhodes die Sache weiter ausformuliert, bevor ein synkopenhafter Break energisch dazwischenfunkt. Dann setzt Köster wieder an, schraubt sein Spiel immer höher, wo es doch noch so viel zu sagen gibt. Wobei doch eigentlich im Sinne von Cage, oder eben im Sinne eines echten, tief verstandenen Jazzidiom doch vieles so einfach ist, wenn man es einfach nur macht!

Es hat also gute Gründe, dass Jens Düppe just am heutigen Tage für den EchoJazz 2018 (Bester Drummer national) nominiert wurde.

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