Plädoyer des freien Spiels
Arild Andersen Group im Domicil
TEXT: Peter E. Rytz | FOTO: Peter E. Rytz
Kaum zu glauben, aber das Archiv lügt nicht. Im Jazzclub domicil in Dortmund, 1969 gegründet, gibt der Bassist Arild Andersen (Jahrgang 1945) dort eines seiner ersten Konzerte! Dass seitdem bis heute 54 Jahre vergangen sind, lässt im Herbst 2023 nur noch staunen.
Andersen, der Bassist mit dem warmen Ton gilt zurecht als eine Legende des europäischen Jazz. Seine Karriere beginnt 1967. Wenige Jahre später tourt er schon mit Jan Garbarek, Terje Rypdal und Jon Christensen. Er ist auf einer der ersten bei ECM veröffentlichten CD Afric Pepperbird von Garbarek dabei. Inzwischen hat er mehr als 20 Alben unter seinem eigenen Namen bei ECM veröffentlicht. Eine Diskographie, die lebendige Jazzgeschichte erzählt.
Zusammen mit exzellenten Musikern der nächsten Generation - Pianist Helge Lien und Schlagzeuger (beide Jahrgang 1975) – sowie der übernächsten - Saxophonist (Jahrgang 1985) - bilden sie die aktuelle Arild Andersen Group. Ohne Plan, allein der improvisatorischen Kreativität vertrauend, haben sie im November 2021 auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie im Osloer Rainbow Studio die CD Affirmation (ECM mit JOE unterwegs, 05.03.2023) aufgenommen.
So konsequent die Stücke auf der CD kommentarlos mit Part I und II nummeriert sind, so in diesen affirmativen Klang-Kokon eingesponnen, musizieren sie im domicil. Dass, was beim Hören der CD vor dem Konzert schon aufmerken lässt, zeigt sich live mit aller Deutlichkeit. Affirmation ist in seiner bestätigenden Bejahung des Hier und Heute ein Lehrstück spontaner Gruppenkreativität.
Andersens Kontrabass klingt empathisch wie eine Singstimme
Das Konzert geriert sich zu einem Plädoyer des freien Spiels. In weiten Bögen strukturieren sie einen Hör-Raum voller Spannungen mit rhythmisch feinfühligen Auf- und Umbrüchen. Sie klangmalen – jeder einzelne Musiker in Verantwortung für die Gruppe – Sound-Räume aus. Exemplarisch legt Johansen in Part II eine Klangspur im Dialog mit Andersens freely improvised music concept. Neset lässt sich mit dem Tenor- und Sopransaxophon nicht lumpen. Derweil Lien energisch mit dem Piano dazwischen funkt. Andersens Kontrabass klingt dabei immer einfühlsam und empathisch wie eine Singstimme.
Gemeinsam glätten sie furios mit elegisch gestimmten Temperamenten die aufschäumenden Wellen from Part to Part. Alle vier treiben das Ensemble an, und alle vier bringen sich gleichermaßen als Solisten ein. Zentriert um Andersens Komposition Short Story, feiern sie neben den Improvisationen die Schönheit der Melodie.
Darüber hinaus bietet Håkon Mjåset Johansen am Drumset mit Becken, Snare Drum und Floor Toms auch optisch eine Menge. Kleinperkussive Materialien angeschlagen, tanzen mit schwebenden Sound-Mischungen auf der großen Trommel. Neset groovt sich mit autistisch anmutender Konzentration in auflaufende Improvisationen ein. Lien, wechselnd zwischen tief über das Klavier gebeugt und rückgelehnter Entspannung, fabuliert arabesk.
Ein eindrucksvolles Konzert im vollbesetzten domicil, das zuhause umgehend motiviert, die CD in den Player zu schieben. Affirmation, eine pure Versicherung, Musik mit allen Sinnen zu genießen.