Harmonie und Kreativität vereint
PENG Festival 2024
TEXT: Stefan Pieper, Heinz Schlinkert | FOTO: André Symann
Das PENG-Festival hat wieder alles gegeben und auch die Stimmung war großartig! Die Macherinnen haben ihr ganzes Know-how zusammengeworfen, um spannende, exklusive Gastspiele nach Essen zu holen, ebenso, um bei langjährig erfahrenen Konstellationen den aktuellen künstlerischen Stand auf die Bühne zu bringen. Was es definitiv in der Szene nicht gibt, ist Stillstand. Und über allem lag diese friedlich-harmonische, von Begeisterung getragene Stimmung, die von allen Beteiligten auf, vor und hinter der Bühne ausging. Die Bildersprache seitens des hervorragenden Fotografen André Symann (vielen Dank nochmal für die vielen Fotos vom Festival!) spricht definitiv für sich.
Der Freitag (von Heinz Schlinkert)
Barbara Barth und Maika Küster begrüßen das Festivalpublikum in der vollbesetzen Maschinenhalle und stellen die erste Band vor, die schon seit 15 Jahren zusammenspielt. Special Guests des Johanna Schneider Quartets sind der Tenorsaxofonist Paul Heller (WDR Big Band) und der Cellist Florian Hoheisel von der Essener Philharmonie. Zu hören sind Eigenkompositionen von Johanna Schneider . Auch Friedrich Hollaenders berühmtes „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“ ist dabei, erst unisono mit Cello und Gesang, dann setzen Paul Heller , der Bassist Andreas Kurz und der Pianist Tizian Jost mit längeren Soli weitere Akzente.
Johanna Schneider und Paul Heller stehen in der Mitte der Bühne und scheinen die Band zu dominieren, doch die anderen Musiker fungieren nicht als Sidemen, sondern stellen immer wieder mit kunstvollen Soli ihr Können unter Beweis. Für den Cellisten Florian Hoheisel scheint dieses Setting ungewohnt zu sein, er spielt vor allem Melodien, einmal auch im Rahmen einer längeren Groove-Sequenz, die maßgeblich vom Drummer Bastian Jütte getragen wird. Bei „On the Street Where You Live“ klingt die Band besonders jazzig. Der Text von „Mondgesang“ stammt von Johannas Mutter, Johanna Schneider hat das Gedicht vertont. Das klingt sehr melancholisch, selbst Paul Heller , der sonst stilistisch eher an Charlie Parker erinnert, spielt hier langsam mit längeren Tönen – ein schöner Abschluss.
Dann eine Viertelstunde Pause, draußen ist es nun schon richtig dunkel und recht kalt. Man kann dort mit den Musiker sprechen. Noch ein Bier, dann geht’s weiter. Nun steht HILDE auf der Bühne, ein Kollektiv ganz ohne Frontfrau. Schon vor drei Jahren sind Julia Brüssel (Geige), Marie Daniels (Stimme), Maria Trautmann (Posaune) und Emily Wittbrodt (Cello) hier zusammen aufgetreten. Diese Konzerte sind besonders spannend, weil es vorher keinen Plan gibt, welche Stücke wann gespielt werden. Die Sängerin Marie Daniels singt deutsch und englisch, scattet und singt auch Vokalisen, die an Camille Bertault erinnern. Als ich sie nach dem Konzert nach den Titeln der zwei Stücke fragte, nannte sie „Timbre“ und „Fragility“, doch es waren viel mehr, weil die Stücke oft ineinander übergehen.
Nach einer längeren Stille fängt eine Musikerin an, die anderen klinken sich ein und entwickeln spontan eine Folge von Titeln, die alle kennen, die aber immer wieder neu mit oft längeren Improvisationsphasen gespielt werden. Dazu ist eine enorme Konzentration und Intuition notwendig, die auf eine intensive Verbundenheit der Musikerinnen schließen lässt und anhaltenden Beifall des Publikums erhält.
Alexandra Ivanova lenkt zunächst mit ihrem roten Glitzermantel die Blicke auf sich. Zu ihrem Trio gehören zwei Männer: der Bassist Niklas Lukassen und der Drummer Marc Michel. Piano/Bass/Drums – dieses Line-up ist Standard, hat es aber in sich, denn das Trio bringt einen mitreißenden Schwung auf die Bühne. Alexandra Ivanova stellt ihr Debütalbum „Beauty in Chaos“ vor und spricht mehrmals von ihrer „Wahlheimat“. Sie kommt aus Österreich, hat aber bulgarische Wurzeln und lebt in Berlin. Sie scheint auf der ganzen Welt zu Hause zu sein. Das merkt man auch an ihrer Musik. Orientalisch-andalusisch klingt das erste Stück, „Enta Omri“ kommt aus Ägypten, das dritte Stück verrät kubanische Einflüsse. Ein Lied über Abtreibung mit englisch gesprochenem Text ist ein klares politisches Statement, das von Bass und Drums massiv unterstrichen wird. Marc Michel liefert dazu ein außergewöhnliches Schlagzeugsolo, das nur mit der Bass Drum beginnt und in eine Call-and-Response-Sequenz mit der Snare einmündet. „Beauty in Chaos“ bezieht sich auf Beirut, leider ist das Stück wieder ganz aktuell. Ein Riesenbeifall schließt den ersten Tag dieses außerordentlich gut gemachten Festivals ab.
Der Samstag (von Stefan Pieper)
Gerade von einer kurzen Herbsturlaubsreise zurück und sozusagen von der Autobahn sofort beim PENG-Festival landen – das war gar nicht mal der schlechteste Einstieg in eine dunkle Jahreszeit, in der die Live-Kultur voraussichtlich wieder in allen Farben leuchten wird. Im Maschinenhaus läuft es rund, und wie! Schon beim Reingehen wehen einem die vitalen Flötenarabesken entgegen. Da ist schon jemand mächtig im Flow! Wie Jorik Bergmann traumverloren soliert, lyrisch und virtuos zugleich, das stellt klar, dass wir es bei der Niederländerin mit einer der tonangebenden jungen Stimmen auf der Jazz-Querflöte zu tun haben. Das beweist sie abwechselnd auf mehreren Instrumenten in verschiedenen Tonlagen. Was für eine Phrasierungskunst diese Musikerin draufhat und wie sie alle Hörenden in diesen Kosmos hineinzieht! Mal schöpft sie aus lyrisch-balladesken Songstrukturen, richtig sportlich-herausfordernd wird es, wenn sie sich lustvoll an aufgetürmten Akkordbrechungen abarbeitet. Auch ihre beiden Bandmitglieder Viktor Gelling (Kontrabass) und Simon Below (Piano) gehen perfekt und symbiotisch in diesem Konsens auf.
Die Auftritte bei PENG repräsentieren immer wieder einen Querschnitt durch die Vielfalt künstlerischer Ansätze im Jazz, und der atmosphärische Rahmen in der Maschinenhalle spornt zu einer ganz besonderen, von vielen Menschen geteilten Leidenschaft an (siehe Fotos), die wohl nur an diesem Ort diese spezifische Farbe entfaltet. In dieser Hinsicht hatte die jüngste Festivalausgabe ihren klaren Höhepunkt: Maria Portugal, diese Universalmusikerin, Konzeptionalistin, Menschenfängerin, präsentierte in ihrem EROSAO-Septett ein Projekt, das auf Songs aus einem ihrer aktuellen Alben aufbaut, aber vor allem die Freiräume darin groß schreibt. Die einstige Improvisor in Residence beim Moers-Festival, aus São Paulo stammend und heute in ihrer Wahlheimat Duisburg lebend, spielt nicht nur fantastisch Schlagzeug, sondern entfaltet ihre Präsenz und ihr musikalisches Denken konsequent über ihr Instrument hinaus, sodass sie auch, ohne ständig viel spielen zu müssen, zum Epizentrum einer reichen Bläsersektion plus Klavier und Bass wird, in der kollektiv improvisiert wird – in diesem Fall zu einer echten, hochengagierten Allstar-Besetzung aus der NRW-Jazzszene: Angelika Niescier (Altsaxophon), Filipe Nader (Altsaxophon), Moritz Wesp (Posaune), Carl Ludwig Hübsch (Tuba), Reza Askari (Kontrabass) und Maria Portugal (Schlagzeug, Vocals).
Zu Anfang reichten Maria Portugal einzelne Trommelschläge, um die Parameter zu definieren, aus denen immense Kraft- und Klangentfaltungen erwachsen. Genial verknüpft sind damit die fragilen, in brasilianischer Diktion ausgeführten Songs von Maria Portugal, die manchmal fast wie ein zärtliches Auge im Hurrikan anmuten und hier als strukturierende Basis einer entfesselten Interaktion dienen. Vor allem John Dennis Renken und Angelika Niescier versetzten mit ihren Crescendo-Ausbrüchen die berühmten Herzen in Wallung. Alle zusammen liefern assoziative Resonanzräume für fragilen Selbstausdruck. Und auch das Finale dieser ungezügelten Freiheits-Musik war dann auch wieder typisch PENG-Festival: Gegen Ende wird es spürbar leichtfüßiger, als sich die ganze Band auf brasilianische Rhythmen einschwingt und schließlich, einer Marching Band gleich, die ebenerdige Bühne verlässt. Bis auf Bassist Reza Askari, der noch mit einem Flageolett-Ton einsam die Stellung hält.
Brasilien wurde danach noch nicht verlassen – nun allerdings in einem weiten, kulturenübergreifenden Sinne: Natalie Greffel zog in ihrer Songlyrik feine Verbindungslinien zwischen diesem Land und Mosambik, was allein schon wegen der gemeinsamen Sprache auf der Hand liegt. Ihre Songs sind starke Botschaften für Humanität und die finale Nummer ihres Sets ist eine Liebeserklärung an sich selbst. Ganz wichtig so etwas: Wenn erst wer sich selber liebt, kann auch aufrichtig andere lieben, und wenn dies alle so praktizierten, wäre die Welt vermutlich eine bessere.
Natalie Greffels Trio erwies sich aber auch musikalisch als mit allen Wassern gewaschen. Die Bandleaderin beeindruckte mit kraftvoller Stimme und steigerungsfähiger Live-Präsenz. Und ja – sie ist auch eine hervorragende Bassistin, die wunderbar mit den feinen Gitarrenlinien von Carlos Corona harmoniert. Pure Wonne auch, wie sich Johannes von Ballestrem auf dem Fender Rhodes in die vitalen Grooves einzuklinken wusste – ganz zu schweigen von Schlagzeuger Philipp Dornbusch.
Über den Sonntag, der im Zeichen eines gesellschaftlich relevanten Workshops und eines wunderbaren, von Mara Mijoli konzipierten Kinderkonzerts stand, wird auch noch an dieser Stelle zu berichten sein...