Peitz 55
Das Fest der improvisierten Musik lebt und bleibt
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Ein etwas wehmütiger Hauch liegt zunächst auf Peitz bei der 55. Ausgabe seines legendären Festes der improvisierten Musik am Rande des Spreewalds, hat doch Veranstalter Ulli Blobel vor einiger Zeit angekündigt, dass dies die letzte sei. Bei der Eröffnung zerstreut er jedoch diese Absicht, das Festival geht weiter, ein treues Publikum, engagierte Musiker und wahrscheinlich auch eine Förderzusage vom Land Brandenburg sorgen für eine weitere Zukunft. Sieht man sich Programm und Verlauf des diesjährigen Festivals an, kann man über diese Entscheidung nur froh sein, Peitz 55 erweist sich als ein Festival-Highlight!
Das Dilemma eines Festival-Berichts besteht ja nun darin, sich auf die Höhepunkte beschränken zu müssen und die vielen Namen aller spannenden Akteure gar nicht berücksichtigen zu können. Dies fällt bei Peitz 55 besonders schwer, besteht das Festival nahezu ausnahmslos aus Musikerauftritten, nun ja: der Sonderklasse. Die Besetzung ist sehr unterschiedlich, sie reicht vom Solo bis zur Großformation.
Bei den Solodarbietungen sind zu nennen: ein konzentriert-packender Alexander von Schlippenbach, der Marathon-Improvisator auf dem Saxophon, Evan Parker, und die Vibraphonistin Els Vandeweyer, die ihrem Instrument mit diversen Präparationen umwerfend phantasievolle und energisch präsentierte Klangkaskaden entlockt. Im Duo bestechen Aki Takase und Louis Sclavis mit ihren nuancenreichen ost-westlichen Zwiegesprächen, Pianistin Julie Sassoon und Drummer Willi Kellers entwickeln ein filigranes und dynamisches Interplay, während Matthias Muche an der Posaune mit dem Perkussionisten Martin Blume den passenden Background liefert für die Vernissage der Fotoausstellung von Ingrid Hoberg und Herbert Weisrock mit Bildern von vergangenen Peitz-Festivals. Das Barry Altschul Trio mit seinem namensgebenden Drummer entzündet ein Feuerwerk an stilistischen Wendungen, Jon Irabagon an den Saxophonen und an der Altklarinette gibt in seinen endlosen Phrasen instrumentaltechnisch herausragende Beispiele für eine in der Tradition geerdete Avantgarde. Das Trio Hübsch Schubert Wierbos setzt mit einer starken musikalisch-theatralischen Performance einen erfrischenden Schlusspunkt.
Eine dreigeteilte Großformation eröffnet das Festival: Die Open Air-Bühne ist eingerahmt von dem Turm der Stüler Kirche und dem Festungsturm, dem Wahrzeichen von Peitz. Verteilt auf diese drei Spielstätten interagieren 18 Musiker unter Leitung von Matthias Muche – eine faszinierende Idee und eben solche Umsetzung, den Äther der Festivalstadt mit einer kräftigen „Fanfare“ zu füllen und den Auftakt entsprechend zu markieren.Nach seinem ergreifenden Solo-Auftritt führt Alexander von Schlippenbach das Globe Unity Orchestra auf die Bühne. Polarisierte und provozierte diese wilde Groß-Combo noch stark beim Berliner Jazzfest 1966, findet es heute ein hochkonzentriertes und begeisterungsfähiges Publikum, das das befreiende Potenzial von improvisierter Musik erwartet und entsprechend goutiert. Und das Globe Unity Orchestra „liefert“: Die Musiker – ausnahmslos illustre Vertreter der Impro-Szene - können sich wegen ihrer Masse kaum auf der Bühne bewegen, sie produzieren dessen ungeachtet ein Powerplay der Sonderklasse. Auch wenn die Organisationsform des Hierarchischen und „Männerbündischen“ (Thomas Krüger in der Podiumsdiskussion am folgenden Tag) als überholt gelten dürfte, erzeugt die Großformation einen unglaublich vitalen Dauerenergiestoß. Der musikalische Reigen erfährt durch die nicht enden wollenden Einsätze und Soli vor allem der unermüdlich treibenden Bläser eine variationsreiche Dauerekstase.
Legendär auch die seit den 1960er Jahren in unterschiedlichen Besetzungen agierende Jazz-Avantgarde-Gruppe The Art Ensemble Of Chicago mit dem Saxophonisten Roscoe Mitchell und dem Perkussionisten Famoudou Don Moye, die in Peitz als „Reunion“ auftritt. Mit einer inneren Einstimmung per kollektiver Verbeugung – ironischerweise Richtung Westen – beginnt ein pausenloser musikalischer Bogen vom Ruhig-Spirituellen bis zum Ekstatischen, dessen Dynamik das Publikum gespannt im Moment der Produktion verfolgt. Von der theatralischen Performance des Ensembles der früheren Jahre ist nichts zu erkennen, geradezu mit stoischer Mine bläst Roscoe Mitchell seine Saxophone, ebenso regungslos seine Mitspieler. Die Konzentration im Reunion-Sextett liegt allein auf dem Musikalischen. Von der witzigen Ausgelassenheit eines Lester Bowie ist ebenfalls beim Trompeter Hugh Ragin nichts zu spüren. Dafür jedoch „lebt“ das Ensemble die Freiheit der Selbstverwirklichung des Individuums im Kollektiven – das Publikum reagiert begeistert auf die Exerzitien der Freien Musik.
Helga Plankensteiner spielt mit ihrem Sextett die Titel ihrer CD Plankton. Während sie am Baritonsaxophon und an der Klarinette und vor allem Matthias Schriefl und Gerhard Gschlößl musikalisch überzeugen, kämpft ihr Humor ein wenig krampfhaft um die Gunst des Publikums.
Ulli Blobel und seine jazzwerkstatt – unlängst mit einem Revival des RuhrJazzFestivals in Bochum erfolgreich gestartet (s. Festivalbericht auf nrwjazz) – können zufrieden sein, „Woodstock am Karpfenteich“ mit seinem ungebrochenen Publikumszuspruch , mit seinen unterschiedlichen nahe beieinander liegenden Spielstätten in ansprechender Atmosphäre, und nicht zuletzt mit seinen herausragenden Musikerinnen und Musikern bleibt ein wichtiges Forum und Fest der improvisierten Musik. Gut so!