Passing Time
Dave Holland Trio in der Essener Philharmonie
TEXT: Peter E. Rytz | FOTO: Sven Thielmann
Dave Holland, seit mehr als 50 Jahren als Bassist, Komponist und Bandleader einer der charismatischsten Jazz-Gentlemen der Szene, erkundet stetig neue wie alte Sound-Räume. Zusammen mit Jaleel Shaw (sax) und Nashet Waits (dr), seinem aktuellen Trio ging das Konzert in der Philharmonie Essen routiniert über die Bühne.
Holland streift seine Armbanduhr ab und legt sie in Augenhöhe auf dem Verstärker ab. Die angekündigten 90 Minuten des Konzerts hat er stets im Blick. Formelhafte Begrüßung, wie vermutlichen an jedem Abend an einem anderen Ort. Routine eben. Mit einem kleinen, kaum wahrnehmbaren Nicken startet er das Konzert. Das Augenbrauenhochziehen Hollands, ein leises Lächeln genügt, um den Sound ins Bass-Fahrwasser zu ziehen. Sein dabei mitunter spontan angezogenes rechtes Knie verstärkt Betonung und Tempo. Es ist, als würde es als zweite rechte Hand die untere Basssaite anschlagen wollen. Unterstrichen mit einem verzückten Lächeln in sich selbst. Mehr braucht es nicht, um im gemeinsamen Selbstverständnis einen Sound authentisch zu signieren. Der Waits folgt mit kantabel melodiös schwebenden Ride- und Crash-Cambals, Snare Drums und Hihat-Becken den von Holland angeschlagenen Akkorden, transformiert sie in einen eigenen Sound und fordert mit solistischen Arabesken interaktiv heraus. So, als wolle er auffordern, ein Rätsel zu lösen: Wohin soll‘s wohl gehen? Changierend zwischen berserkerhaftem Übermut und poetisch leisem Gemurmel, mäandriert der Set 90 Minuten lang in immer wieder neuen Wendungen.
Eigenständiges Gestalten bestimmt dieses Trio-Spiel
Shaw verhält sich vorerst abwartend. Die Sound-Angebote von Holland und Waits konzentriert nachbuchstabierend, schleicht er sich nach vorn. Mischt sich mit seinemwarmen wie energievollen Alt-Saxophon-Ton ein. Sein Spiel, beginnend mit einem eindrucksvollen Solo-Prolog, den er mit exzellenten Phrasierungen zu einer Poesie jenseits üblicher Sound-Schattierungen aneinanderreiht, gibt dem Trio-Spiel einen eigenen Drive. Eigenständiges Gestalten, das mehr als nur ein fügsames Mitgestalten ist, bestimmt im Laufe des Konzerts das Trio-Spiel. Zustimmend auf Hollands freundlich nickendes Lächeln sowie mit Waits‘ in temperamentvollem Überschwang, entwickelt sich ein typischer Holland-Sound. Symmetrisch und kraftvoll in einem weiten Spektrum von berührender Zartheit bis zu kraftvollen Attacken wie doch auch mitunter langweilend in seiner Vorhersehbarkeit der melodischen Entwicklungen.
Die Soli von Waits gerieren sich auf Dauer als selbstreferentielle Artistik, wie sich Shaw die Finger wund zu spielen scheint. Hollands Komposition Passing time mutet an, als würde Waits einem poetischen Imperativ von Rainer Maria Rilke aus der Ersten Duineser Elegie folgen: Wirf aus den Armen die Leere zu den Räumen hinzu, die wir atmen. Allein beim Zuschauen wird einem schon schwindlig, währenddessen in der Philharmonie alles andere übertönt wird.
Final beruhigt In Between Nothingness And Infinity (Komposition: Waits), romantisch softly und rhythmisch aufkratzend mit How’s Never? und Flip Side, mit denen Holland seine eigene Geschichte vieler Jahrzehnte zitiert, applaudiert die Mehrheit der Konzertbesucher mit Begeisterung.



