Paolo Fresu und Daniele di Bonaventura im Domicil
‚Sotto le Stelle del Jazz‘
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Kurt Rade
Ende Februar, 8 Uhr abends, immer noch Winterzeit, dunkel. Auch drinnen im Dortmunder Domicil ist es recht schummerig. Paolo Fresu und Daniele di Bonaventura spielen im Halbdunkel, angeleuchtet oben von den Strahlern. ‚Sotto le stelle del Jazz‘ hatte Paolo Conte mal gesungen. Unter diesen Sternen spielen nun der andere Paolo und Daniele. Die Trompete glänzt, blinkt im Licht. Und die visuellen Eindrücke vermischen sich mit den Klängen und erzeugen eine fast schon intime Atmosphäre, die die Zuhörer ergreift und den ganzen Abend nicht mehr loslässt.
Es beginnt mit einem lang gezogenen Ton auf dem Bandoneon: Melancholie, Trauer, Tango? Paolo kommt mit seiner Trompete dazu, es entwickelt sich eine Art Gespräch, das in diesem symmetrisch aufgebauten Stück wieder auf den Anfangston zurückführt. Die beiden Musiker spielen Eigenkompositionen, covern aber auch berühmte Melodien, die nicht immer gleich erkennbar sind, weil sie permanent, ‚gnadenlos‘ improvisieren.
Beide Musiker sind nicht mehr die jüngsten und verfügen über sehr viel musikalische Erfahrung. Die CD In Maggiore haben sie 2015 zusammen herausgebracht.
Paolo Fresu hat schon oft Konzerte in Deutschland gegeben und ist in der Jazzszene bekannt, der Saal ist voll. Mit Trompete und Flügelhorn hat er in unterschiedlichen Konstellationen gespielt. Genannt seien hier nur The Lost Chords find Paolo Fresu mit Carla Bley, Steve Swallow und Archie Shepp (2007) und das Projekt Mare Nostrum, von dem inzwischen das dritte Album erschienen ist, mit Jan Lundgren und Richard Galliano (ab 2007). Elektronische Effekte hat er oft ausprobiert. So nimmt er auch in diesem Konzert zeitweise kurze Passagen auf, um sie später wieder einzuspielen und sich selbst zu begleiten. Doch dies kommt eher als technische Spielerei rüber, die wirklich nicht notwendig ist. Beide Musiker lieben lange Töne, besonders am Ende eines Stücks, bei Paolo wohl auch mit Hilfe der Technik der Zirkularatmung.
Daniele di Bonaventura ist in Deutschland nicht so bekannt, war aber 2007 bei Miroslav Vitous‘ Universal Syncopation II mit dabei. Er hat eine vielfache musikalische Ausbildung und beschreibt sich auf seiner homepage als „compositore-arrangiatore, pianista-bandoneonista“. Er hat das Bandoneon für sich entdeckt und ist damit als einer von wenigen Bandoneon-Spielern im Jazz unterwegs.
Die Instrumente der beiden Musiker haben als Aerophone Gemeinsamkeiten. Was bei der Trompete Lippen und Ventile sind, sind beim Bandoneon die Metallzungen, die durch Vibration die Töne erzeugen. Doch bei beiden Instrumenten entstehen die Klänge durch Luftströme, die oral bzw. manuell erzeugt werden. So stehen die beiden Musiker vor allem für den Klang. Fast ohne Groove stehen ihre Melodien direkt im Raum und sprechen unmittelbar zu den Zuhörern.
Einer der thematischen Schwerpunkte ist Südamerika. Aber nicht Argentinien. Der Tango klingt zwar am Anfang an, soll aber – nach nicht ganz ernst gemeinter Ansage von Paolo Fresu – unbedingt vermieden werden. Darum gibt’s erstmal – knapp ‚daneben‘ – ein Stück aus Uruguay: eine Murga, eigentlich eine Art ‚Karnevalsmusik‘, hier Se va la Murga von Jaime Ross. Aber auch El Pueblo Unido nunca será vencido von Sergio Ortega ist dabei. Alle Stücke dauern um die 10 Minuten, in einem erkenne ich – passend zu Datum und Wetter - Jobim‘s Aguas de Março wieder, das sehr viel Beifall erhält.
Auch Klassik ist ein Schwerpunkt. Hier hört man Non ti scordar di me, ein in Italien wohl sehr bekanntes Stück des neapolitanischen Komponisten Ernesto De Curtis (1912). Noch ‚klassischer‘ sind Arien aus Bellinis Oper Norma und das Menuett in G moll von J. B. Bach, der als „1. Jazzmusiker der Welt“ vorgestellt wird. Natürlich wird das Stück verswingt, besonders spannend ist aber wie die beiden das Klavierstück interpretieren: das Bandoneon weist auf Orgel oder Cembalo hin, bei Fresu klingt die Bach-Trompete an.
Den Abschluss bildet eine Art Sketch. Daniele ‚darf‘ ja keinen Tango spielen, aber er versucht es immer wieder und wird von Paolo unterbrochen oder musikalisch ‚umgeleitet‘. Nach längerem Hin und Her lässt sich Paolo doch darauf ein und es kommt zu einem ausgiebigen Tango. Am Ende wieder sehr viel Applaus. Zugabe! Klar, aber was nun kommt, damit hat keiner gerechnet:
Paolo berichtet von einem Konzert in Chile, bei dem sie vor Tausenden von Zuhörern zum Schluss Victor Jara’s Te recuerdo Amanda gespielt hatten. Das Publikum hatte sehr emotional reagiert; seitdem spielen die beiden als Zugabe immer dieses Lied. Das Publikum im Domicil reagierte ähnlich. Nach einer kurzen Pause des Ausklingens stürmischer Applaus und Standing Ovations.
Mille grazie per questo concerto eccezionale!