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Orgiastisches Schlag(feuer-)werk

‚Musik in den Häusern der Stadt‘

Bochum, 08.11.2013
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker

Ein neues, vom Angebot sicher als spektakulär zu bezeichnendes Festival ward geboren: „Musik in den Häusern der Stadt“ ist der Titel dieses Festivals, das vom 6. – 11.11.3013 deutschlandweit stattfindet, und zwar in Köln, Essen, Hamburg, Bonn, Karlsruhe, Hannover – und Bochum.

Hier startete denn auch das Festival mit einem, nun ja: furiosen Solokonzert des Perkussionisten Alexej Gerassimez . Furios auch die Umgebung: Als Gastgeber stellt der international bekannte und preisgekrönte Teppich-Designer Jan Kath seine Verkaufshalle an der Bochum-Ehrenfelder Friederikastraße zur Verfügung. Der Begriff ist dabei ein wenig unpassend, weil die loftartige Industriehalle mit den wundervollen Exponaten eher den Charakter eines Museums für Kunst und Design verbreitet, „Showroom“ hat sich deshalb als neudeutscher Begriff für diese Art des galerieartigen Aktionsraumes etabliert. In dieser Umgebung ein Solokonzert zu veranstalten, darf man der Festivalleitung Region Ruhr, Katja Leistenschneider, als besonders gelungenen Coup anrechnen, korrespondieren die wunderbaren Farben der Kunstwerke des Teppichdesigns in besonders ansprechender Weise mit einer Musik, die als ebenso multikolor und multikulturell anzusehen ist.

Der 1987 in Essen geborene mehrfach ausgezeichnete und – übrigens häufig gemeinsam mit seinem Pianisten-Bruder Nicolai - schon jung reüssierte Alexej Gerassimez beginnt sein Konzert denn auch ohne Umschweife und in wohltuend direkter Ansprache des Publikums mit einer Einstimmung ohne zusätzliches Instrument als mit seinem Körper. In seiner Eigenkomposition ‚Bodix’ behandelt er diesen als Perkussionsfläche und zeigt schon in dieser Introduktion, dass er ein Meister des (Poly-)Rhythmischen ist, für den das zur Verfügung stehende Instrument nahezu zweitrangig ist.

Es folgen an dem auch in klanglicher Hinsicht voluminösen Marimbaphon die „Sechs Miniaturen“ von Matthias Schmitt, die zum festen Repertoire vieler Marimbisten gehören (u.a. von Evelyn Glennie aufgenommen!). In eher avantgardistischen Dimensionen bewegt sich die folgende Komposition ‚Interzones“ von Bruce Hamilton (Jg. 1966): Hier spielt Alexej Gerassimez das Vibraphon, er wird „begleitet“ von einer Original-Tonspur, die verschiedene Samples von Gitarren, Saxophon, Drums und Vibraphon vermischt und mit dem Live-Spiel einen sehr jazzig-abstrakten Dialog erzeugt.

In eine ganz andere Richtung geht die nächste Eigenkomposition ‚Eravie‘. Hier bearbeitet Gerassimez mit seinen Schlägeln wieder das Marimbaphon und ahmt einen – wie er ankündigt – russisch-orthodoxen Chor nach. Seine stupende Spielweise betört neben den polyphonen und polyrhythmischen Mustern vor allem durch die Dynamik, wenn von Passagen im Pianissimo ins Fortissimo übergeleitet und ins Pianissimo zurückgeführt wird, wenn die chorische Grundstruktur auf vier Stimmen des Marimbas reduziert und klanglich meisterhaft herausgearbeitet wird. Als ebenso meisterhaft hat die Interpretation ‚Thirteen Drums‘ des Japaners Maki Ishii zu gelten, die vom Perkussionisten eine schier unglaubliche Virtuosität an den Drums abverlangt – für Gerassimez eine Aufgabe, die er ohne Wimpernzucken und mit höchster Präzision erledigt und zu einem orgiastischen Schlag(feuer-)werk verdichtet. Die Komposition ‚Temazcal‘ des Mexikaners Javier Alvarez für Maracas und wieder einer digitalen Audiospur verweist vom Titel, aber auch von der Spielweise auf mittelamerikanische indianische Kultpraktiken.

Der gesamte Abend ist für Alexej Gerassimez ein Wandern durch völlig unterschiedliche Soundlandschaften und rhythmische Gefilde, die seinen souverän virtuosen und in Auswahl und Interpretation intelligenten Umgang mit dieser Art von „Weltmusik“ demonstrieren. Das gilt auch für den Rest des Abends: Nach dem Jazzstandard ‚Stella by Starlight‘ folgt die Interpretation ‚One Study One Summary‘ von John Psathas – einem neuseeländischen Komponisten mit griechischen Wurzeln - 2005 für den portugiesischen Perkussionsvirtuosen Pedro Carneiro entwickelt für Marimba, (wieder) eine digitale Audiospur und für „junk percussion“. Hierunter ist eine Batterie von Alltagsgegenständen zu verstehen: Töpfen, Platten, chinesischen Gongs etc.. Auch hier wie in seinem letzten Stück ‚Asventuras‘ an den Snare Drums zeigt Gerassimez die ganze Bandbreite seiner perkussionistischen Kunst.

Die übrigens völlig ausverkaufte Halle kocht, die standing ovations zeigen: Das Publikum ist begeistert, begeistert von der Virtuosität des Solokünstlers, seiner Interpretation der unterschiedlichen Kompositionen, seinen variationsreichen und ansteckenden Rhythmen, seiner packenden Musikalität, aber auch der freundlichen Zugewandtheit dem Publikum gegenüber. In den tobenden Beifall mischt sich sicherlich auch die Freude über einen insgesamt gelungenen Abend, der neben dem Künstler und der Musik auch dem räumlichen Umfeld und der gelungenen Organisation geschuldet ist. Das Konzept vom KunstSalon e.V. , Musik – auch und gerade die etwas sperrigerer Natur und nicht immer mit eindeutiger Genrezuordnung – in außergewöhnlichen Räumen, in Wohn- oder Werkräumen, Ateliers, Lofts, Läden oder „showrooms“ zu präsentieren, geht voll auf: Sie macht ein (neues?) Publikum neugierig auf die Kombination von Raum und Musik. Der dadurch entstehende Eventcharakter nutzt allen: der Musik, den Veranstaltern mit einem sicherlich auch avisierten Publizitätsgewinn, den Künstlern mit einer ungewöhnlichen und damit spannenden Auftrittsmöglichkeit und der Chance, neue Publika zu erreichen, und nicht zuletzt den Organisatoren als Bestätigung für eine lohnenswerte Form der privaten Kunst- und Künstlerförderung. Chapeau!!! Und weiter so mit möglichst weiteren Beispielen für ungewöhnliche Musik in möglichst weiteren ungewöhnlichen Häusern der Stadt!!!www.gerassimez.de
www.kunstsalon.de

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