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Gleichgewicht zwischen den Welten

Oreka TX war eine echte Entdeckung beim Münsterland-Festival

Bocholt, 29.10.2025
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Zwei Männer wirbeln tänzerisch über die Bühne, in den Händen schwere Holzstäbe, die Körper in ständiger Bewegung. Vor ihnen liegen massive Hartholzpaneele und Schieferblöcke, aufgereiht wie die Tastatur eines riesigen, archaischen Instruments. Der erste Schlag fällt – ein trockener, präziser Klang mit definierter Tonhöhe. Der zweite antwortet, eine Terz höher, während beide Musiker ausgelassen von einem Ende ihrer Klanginstallation zum anderen springen. Die Schläge verdichten sich zu Texturen, zu rhythmischen Mustern, zu harmonischen Clustern manchmal – ein vielstimmiges, pulsierendes Gewoge. Was hier entsteht, ist kein bloßes Schlagwerk, sondern ein rhythmischer Dialog voller körperlicher Energie – und der hat seinen Ursprung in uralter Arbeitskultur aus dem Baskenland. Bei der traditionell berühmten Apfelwein-Produktion in dieser Region werden die Äpfel mit genau solchen Hölzern zerstampft, und aus dem gemeinsamen Tun erwuchs ein kollektiver Rhythmus, der irgendwann musikalisch genutzt wurde. Die Geburtsstunde dieser archaischen, in Bocholt bestaunten Instrumente war vollzogen. Die Zusammenarbeit im Rhythmus wurde zum sozialen Ritual, bei dem sich die Schläge zweier Arbeiter zu komplexen polyrhythmischen Mustern verdichteten.

Hier, im Bocholter LernWerk, verwandelt Oreka TX diese Tradition in etwas völlig Neues. Die beiden Txalaparta-Spieler Harkaitz Martínez de San Vicente und Mikel Ugarte bewegen sich wie Tänzer, fast akrobatisch, ihre Stäbe treffen mit millimetergenauer Präzision die richtigen Stellen, erzeugen mal perkussive Prägnanz auf dem Holz, mal resonante Klangwolken auf dem Schiefer. Doch diese perkussive Artistik ist kein Selbstzweck, sondern in einen soliden Bandkontext eingerahmt: Zusammen mit einem Sopransaxofonisten, der auch das traditionelle baskische Horn bediente, sowie einem Gitarristen brachten sie genuine, zeitgenössische Musik von bestechender Intensität auf die Bühne, die die Grenzen zwischen Volksmusik, Jazz und experimenteller Klangkunst mühelos überschritt.

Perkussion als melodisches WErkzeug 

Die sorgfältig zugeschnittenen Hartholzpaneele sind exakt in Bezug auf eine Tonhöhe bemessen – aus dem ursprünglich rein rhythmischen Instrument wird ein melodisches Werkzeug. Die Schieferblöcke daneben eignen sich mit ihrer größeren Resonanz besonders gut für Tonfolgen und Harmonien, wenn die beiden Musiker Akkordbrechungen spielen. Das Material selbst wird zum Klangcharakter: Holz perkussiv-präzise, Schiefer nachklingend-atmosphärisch.

Und welche Bandbreite schöpfen diese Musiker aus ihren Möglichkeiten an diesem Abend: Jazzballaden entfalteten durch die raffinierten Harmonien der Akkordbrechungen eine eigene Klangfarbe, die an den Modal Jazz der Sechzigerjahre denken ließ, dabei aber eine ganz eigene, erdige Qualität besaß. Mittelalterliche Folksongs bekamen durch die perkussive Grundierung eine Dringlichkeit, die ihre historische Ferne aufhob und sie ins Jetzt holte. Eingerahmt wurde das Ganze von einem Sopransaxofon, das zwischen lyrischem Schweben und aus tiefster Seele kommenden Soli changierte – hier war jemand am Werk, der die Fähigkeit besaß, mit wenigen Tönen emotionale Räume zu öffnen. Dazu gesellte sich das traditionelle baskische Horn, dessen archaischer Klang einen faszinierenden Kontrast zur Chromatik des Saxofons bildete, sowie sanft swingendes Gitarrenspiel, das als harmonisches Fundament diente.

Nach der Pause steigerte sich die Intensität merklich. Die Musiker erkundeten nun auch die chromatischen Möglichkeiten ihrer Instrumente und wagten sich in komplexe Jazzharmonien vor, die zeigten, wie weit sich die Txalaparta von ihrem ursprünglichen Kontext emanzipiert hat. Ebenso beeindruckte, wie die Band mit Dynamik arbeitete. Vom zartesten Pianissimo, in dem einzelne Schläge auf den Schieferplatten wie Wassertropfen in einem stillen Raum wirkten, bis zu donnernden Fortissimo-Passagen, in denen alle Instrumente zu einem einzigen Klangteppich verschmolzen, wurde das gesamte Spektrum ausgelotet.

Freude und Vertrauen

Das Schönste aber war: Das ganze ging mit ausgesprochen viel kollektiver Freude vonstatten, die allen Musikern permanent ins Gesicht geschrieben kann. Getragen ist die Bandchemie von höchstem gegenseitigen Vertrauen, was bei diesen spielfreudigen Basken bei jedem Ton spürbar war.  Diese Spielfreude übertrug sich auf das Publikum, das im voll besetzten LernWerk gebannt zuhörte. Oreka TX, was auf Baskisch „Gleichgewicht" bedeutet, machte seinem Namen alle Ehre. Das Gleichgewicht zwischen Tradition und Moderne, zwischen präziser Technik und spielerischer Freiheit, zwischen Ernst und Leichtigkeit, zwischen regionaler Verwurzelung und globaler Offenheit – hier stimmte es auf jeder Ebene. Das Münsterland Festival ist hiermit seinem Spanien-Schwerpunkt besonders gerecht geworden: Geht es doch hier darum, in die Tiefe zu gehen und das Besondere einem großen Publikum zu vermitteln, in diesem Fall nichts Geringeres als die überlieferte baskische Musikkultur.

Die Reise nach Bocholt im Rahmen dieses regionenübergreifenden Festivals hat sich auch deswegen gelohnt, weil ein neuer Kulturort besucht wurde, und der ist ein echter Glücksfall für die lebendige Stadt am westlichsten Zipfel des Münsterlandes. Das LernWerk, eine ehemalige Spinnerei und Weberei, wurde mit großem Aufwand modernisiert, allein die schicke Außenfassade ist ein Hingucker und die Bühne im großen Innenfoyer ein idealer Ort für Jazzkonzerte wie diese. Es verbindet denkmalgeschützte Industriekultur mit zeitgemäßer Bildungs- und Veranstaltungsinfrastruktur und schafft so eine besondere Atmosphäre zwischen Geschichte und Gegenwart. Als offenes Haus fördert es interdisziplinäre Kooperationen von Volkshochschule, Musikschule, Bibliothek und freien Kulturschaffenden und macht Kultur partizipativ und zugänglich für alle.

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