Nur den Kräften folgen
Schlippenbach, Schubert und Blume im Kunstmuseum
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Musik im kontextuellen Rahmen von bildender Kunst zu präsentieren, ist ein bekannter Ansatz des Kunstmuseums Bochum. Hier wird gerade eine Ausstellung des Bildhauers Ingo Ronkholz mit seinen Zeichnungen gezeigt. Dessen Leitsatz passt sehr gut zu dem gut besuchten Konzert am letzten Samstag: „Nichts darstellen. Nichts abbilden. Nur den Kräften folgen, die das Innere mit dem Äußeren verbinden.“ Und genau dies geschieht unter dem Titel „Inner & Outer Spaces“ beim Trio mit der – nun ja: - Legende und dem Doyen der Improvisierten Musik und des Free Jazz: dem Pianisten Alexander von Schlippenbach. Der Begriff „Begleitung“ ist bei dem Trio eher unpassend: Frank Paul Schubert am Alt- und Sopran-Saxophon und der Spiritus Rector der Reihe ‚Klangbilder’, Martin Blume am Schlagzeug, agieren als gleichberechtigte Partner. Im Konzert sind alle Trio-Mitglieder auf Ohrenhöhe Ideen- und Impulsgeber, ja, ihr Zusammenspiel steht geradezu exemplarisch für einen subtilen Trialog, für ein gelingendes Zuhören und Aufgreifen von musikalischen Elementen, die zu einem kohärenten Spontanopus verwoben werden.
Bei Schlippenbach verwundert es nicht, dass in dem Konzert mit zwei längeren Sets Motive aus dem Monk’schen Oeuvre auftauchen, hat er sich doch mit der Einspielung von Monk’s Casino dem Jazz-Genie – und sich selbst – ein Denkmal gesetzt, indem er ihm durch Weiterentwicklung und gewisser Dekonstruktion treu blieb. Am Abend in Bochum gehen diese Elemente ein in einen Fluss, der sich Stromschnellen gleich an Monk’schen Motiven etwa von Work, Epistrophy, Light Blue oder Skippy aufhält, diese im furiosen Zusammenspiel verquirlt, um sie in ruhigerem Fahrwasser im wahrsten Sinne ausklingen zu lassen, bevor er zu neuen Ufern weiterfließt. Frank Paul Schubert hat deutlich hörbar öfter mit Schlippenbach zusammen gespielt, er erkennt in dem musikalischen Kontinuum sofort die mäandernden An-Klänge des Pianisten und weiß auf diese mit seiner Stimme zu reagieren. Dies gilt auch für Martin Blume mit seinem filigranen Perkussionsstil. Etwas verwundert reiben Publikum und Drummer sich die Ohren, wenn das dynamische freie Spiel etwa bei Epistrophy nicht zuletzt durch das Beharren des Saxophonisten zu einer metrisch geschlossenen Form findet. In einem längeren Solo demonstriert Schlippenbach seine polyrhythmisch vertrackte pianistische Kunst, die in ihrer kantig-spröden Schroffheit auch an Monk erinnert. Frank Paul Schubert erweist sich an beiden Saxophonen als überaus technisch versiert: Multiphonics, Growling, Flatterzunge, Überblasen – all das setzt er behutsam und funktional ein, ohne dass dies Selbstzweck oder ein bloßes Zur-Schau-Stellen seiner instrumentellen Fähigkeiten bedeutete. Seine sichere Intonation zeigt, dass er auch am klassischen Saxophon ausgebildet ist.
„Inner & Outer Spaces“ beschert dem Bochumer Publikum einen gelungenen Abend mit zeitgenössischer improvisierter Musik: mit bewundernder Reverenz gegenüber dem Erbe, hier der Monk-Linie, mit technisch brillanter Umsetzung, mit einfühlsamem Interplay, das sich dem Degenerieren des Ursprungsmaterial zum abgenudelten Standard widersetzt und die historischen Wurzeln in eine energetisch dichte eigene Sprache überträgt, die „nur den Kräften folgt“. Wunderbar!