No Limits
Grenzüberschreitende Performance in Moers
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Da kommt wirklich etwas zusammen: Das New Yorker Jazztrio VAX mit dem Saxophonisten Patrick Breiner, das renommierte Ballett im Revier aus Gelsenkirchen, die Band HEIMATLOS mit sechs geflüchteten jungen Musikern aus Syrien - und die Maschinenhalle Zeche Pattberg in Moers. No Limits ist das Motto der Jam Session VIII, einer Reihe, die von MiR-Ballettdirektorin Bridget Breiner mit ihrem Bruder Patrick 2011 ins Leben gerufen wurde und die die improvisatorischen Wurzeln von Tanz und Jazz zusammenbringt. Jetzt in der achten Auflage wartet die Reihe mit einem Special auf: Das bipolare Zusammenspiel wird erweitert um HEIMATLOS, einer Band, die sich im Begegnungsort Kulturzimmer gemeinsam mit dem Schauspieler und Regisseur Frederik Göke gegründet hat.
Eröffnet wird die Begegnung der verschiedenen ästhetischen Ausdrucksformen von Tanz, Bewegung, Jazz und arabischer Musik dieses Mal in der Maschinenhalle Zeche Pattberg, einem noch zu entdeckenden Kleinod der industriegeschichtlichen Denkmäler, von denen das Ruhrgebiet so reichlich zu bieten hat und die die Region mit besonderen kulturellen Highlights so sehr bereichert. So auch bei der Moerser Performance. Dem Publikum steht das Erstaunen ins Gesicht geschrieben, als es die Halle betritt. Sein Erstaunen entwickelt sich zur Irritation, sieht man sich von zwei Reihen mit den Akteuren eingerahmt. Von diesen werden aus der Stille heraus der Reihe nach Zischlaute produziert, eine Steigerung erfolgt durch chorisches Zischen und durch Deklamation von Patrick Breiner. Tänzerische Bewegungen schließen sich an, das Publikum wird sanft in die Mitte der Halle manövriert. Es beginnt zu ahnen, dass es mit dieser akustischen Reminiszenz an die industrielle Geschichte der Maschinenhalle eingeführt wird in eine aktivierende Performance. Was folgt, ist eine ständig wechselnde Interaktion der zum Teil maskierten Akteure durch Tanz, Bewegung und Musik: Es beginnt mit einer furiosen Tanzperformance der Ballettcompany als Gruppe oder anschließend im Solo- oder Duo-Tanz in Begleitung von VAX, bei dem auf die Halle verteilt auf Podesten Bewegungsskulpturen vorgeführt werden. Der Gruppentanz geht über in einen Tanzkreis, in dem Patrick Breiner auf dem Tenor improvisiert und schließlich einen pas de deux mit einem Tänzer performt. Das Tänzerensemble holt die beiden wieder ins Kollektiv zurück, die aktionalen und musikalischen Ausbruchversuche des Saxophonisten in Richtung des Trios werden „jazzig“, bis schließlich das VAX-Combo der Reihe nach aus dem Saal getragen wird: Patrick Breiner unter Protestgeschrei auf seinem Sax, Drummer Devin Gray mit Snare und Becken, Keyborderin Liz Kasack in kerzengerader Haltung. Die entstandene „Leerstelle“ füllt die Ballettcompany dadurch, dass aus dem Publikum Tanzpartner rekrutiert werden. Für die Begleitmusik dazu sorgt die Band Heimatlos, deren Rhythmus sich auf die ganze Halle überträgt und das Publikum zu einer langen Tanzrunde, zu einem arabischen Gruppentanz zusammenbringt. VAX - jetzt mit Patrick Breiner an der Klarinette - unterstützt das entsprechende Musikidiom. Der Schluss des Tanz-Musik-Abends wird von allen Musikern und Tänzern in einem kraftvollen Finale gemeinsam gestaltet.
Die gesamte Performance gelingt deshalb, weil alle Akteure sich mit ihren Stärken und mit starker Präsenz einbeziehen und dabei das Publikum mitnehmen. Es entsteht ein Wechselspiel von Präsentation und Rezeption, die Rollen der Künstler (Wer ist Tänzer, wer ist Musiker, wer gehört zum Publikum, wer zu den Organisatoren?) und zum Teil die der Zuschauer sind im wahrsten Sinne grenzenlos und nicht mehr eindeutig zuzuordnen. Dies gilt ebenso für die musikalischen und aktionalen Elemente. Das programmatische Motto ‚No Limits’ ist an dem Abend in Moers voll und ganz aufgegangen.
Die wunderbare Maschinenhalle bekommt so zumindest einen Teil der Energie ihrer Vergangenheit zurück. Moers hat nicht nur das internationale Festival – und dies noch hoffentlich lange -, sondern jetzt auch einen zusätzlichen Raum genau für solche Performances wie das Projekt No Limits.
Die Ballettchefin Bridget Breiner – bereits zwei Mal mit dem Bühnenoscar ‚Faust’ ausgezeichnet – hat wieder einmal bewiesen, dass ihr Konzept der Grenzüberschreitung bei den Sparten, bei den Spielorten Räume für spannende ästhetische Erfahrungen öffnet. Gespannt sein darf man auf die Wirkung von No Limits bei den beiden anderen Aufführungen im Musiktheater im Revier (Fr 08.07.) und in dem mit diesem kooperierenden Kunstmuseum Bochum Do 07.07.).