Nik Bärtsch’s Mobile: Continuum
Hypnotisierender Kollektivsound durch die Kraft des Repetitiven
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Eine nur sehr spärlich ausgeleuchtete Kirche, ein offener Flügel, zwei Drum- und Perkussionssets, eine Bass- und eine allein von der Form her imponierende Kontrabass-Klarinette warten auf den Auftritt von Nik Bärtsch mit seinem Quartett ‚Mobile’ mit Schlagzeuger Kaspar Rast und Bassklarinettisten Sha, dazu gekommen ist als zweiter Drummer und Perkussionist Nikolas Stocker. Der Schweizer Pianist und Komponist findet mit seinem fünften Album Continuum und einer umfänglichen Live-Tournee mit seinem bereits 1997 formierten Quartett zur akustischen Musik zurück.
Das Konzert in der Bochumer Christuskirche beginnt denn auch mit dem Stück - in der Terminologie von Bärtsch: Modul – 29_14, mit demselben Opener wie das aktuelle Album. Ein fast 9-minütiger durchgehender Rhythmus – zunächst in der linken Hand am Piano stur durchgespielt, dann übernehmen Bassklarinette und Perkussion die repetierende Funktion. Darüber lagern sich – zum Teil leicht rhythmisch verschoben – Melodiepattern der Bassklarinette, des Pianos und aus der Perkussions-Schatztruhe. Aufbau und suggestive Entwicklung der Musik von 'Mobile' brauchen Zeit, und das Quartett nimmt sie sich und erzeugt damit ein musikalisches Phänomen, das Bärtsch treffend "Ritual Groove Music" oder "Zen Funk" nennt. Nun nimmt ‚Mobile’ anders als die verstärkte Formation ‚Ronin’ von Nik Bärtsch das funkige Element deutlich zurück, es bleibt jedoch der stark rituelle Zug, das kontinuierliche Perpetuum Mobile, das auf ein Austarieren der Kräfte der vier Einzelmusiker ohne solistische Höhenflüge und damit auf eine gewisse Entindividualisierung angelegt ist, auf eine Balance mit dem Ziel, ein kollektives Energiefeld zu entwickeln. Das Erleben dieser Musik in der passenden sakralen Umgebung des Kirchenraums bekommt dadurch den Charakter einer Klangmeditation.
Während Modul 29_14 noch am ehesten an ‚Ronin’ erinnert, markieren die folgenden Module 4 mit perkussiv geblasener Bassklarinette, mit geschlagenen Basssaiten des Pianos, mit einem repetitiven Muster im Diskant oder wie im Modul 5 mit solchen in verschiedenen Tonhöhen mit steigernder Dynamik einen starken Sog, ja eine teilweise geradezu heitere Konzentration. Die intensive Besenarbeit von Kaspar Rast mit Bärtschs wenigen Klavierakkorden und einem modulierten tiefen Dauerton auf der Kontrabass-Klarinette von Sha erzeugt im langsamen Modul 12 eine tranceartige Spannung. Die ‚Ronin’-Module 17 und in der Zugabe 42 werden in den akustischen Modus übersetzt und erreichen so gerade in der Konzert-Live-Version mit ihren verdichteten Miniaturen eine besondere Fokussierung. Das Konzert endet - wie die CD - mit Modul 8_11, das sich aus einem im wahrsten Sinne mono-tonen, nur durch Disharmonien im Diskant auf dem Piano unterbrochenen und unmerklich veränderten Live-Loop entpuppt und sich geradezu „rock-jazzig“, ja hymnisch bis zum energetischen Siedepunkt steigert und jäh endet.
‚Mobile’ gelingt im Live-Konzert wie auf der CD eine hochkonzentrierte Form der filigranen Schichtung von mini-melodiösen Elementen, von kontrapunktischen und polyrhythmischen Ideen, die in Grooves umgesetzt werden und sich in raffinierten Modulationen zu einem hypnotischen Flow entwickeln. Die Instrumentierung ist in der Tat ungewöhnlich: mit (präpariertem) Klavier, den tieftönenden Klarinetten Shas, der abwechslungsreichen Arbeit von Kaspar Rast am Schlagzeug, dem Einsatz von Nikolas Stocker mit seiner „tuned percussion“ und den oft parallelisierten Klängen mit Nik Bärtschs Flügel, wobei zum Teil kaum ein klanglicher Unterschied zwischen den beiden Instrumenten auszumachen ist. Diese greifen jeweils die Pattern auf, verdoppeln sie oder bearbeiten sie kontrapunktisch. Insgesamt erreichen die vier Musiker einen ausgesprochen suggestiven Kollektivsound, der seine Kraft aus dem Repetitiven, aus dem Konstanten des leicht Bewegten schöpft. Die Statik des (Perpetuum) Mobiles ist eben per se nicht statisch. Im Live-Auftritt ist dies deutlicher erlebbar, die Performance „knistert“ stärker als auf der perfekt abgestimmten CD. Die Lichtdramaturgie in der Bochumer Christuskirche verstärkt diesen Effekt: Das vorherrschende Dunkel fokussiert das Publikum auf die akustische Ebene, nur ab und zu, wenn die Spannungskurve steigt, gibt es ein leichtes Aufhellen – auch im Gesicht des sympathischen Pianisten mit seinem sichtlichen Vergnügen an der Eigendynamik des musikalischen Augenblicks.
Im Unterschied zum Live-Konzert enthält die CD (und Doppel-LP) drei Module (18, 60, 44), die zusätzlich zum Quartett mit einem Streichquintett aufgenommen wurden. V.a. Modul 60 erinnert dabei stark an Bärtschs Vorbild Morton Feldman, insgesamt entwickeln sie jedoch nicht die Wucht und Feinsinnigkeit der reinen Quartett-Stücke. Diese entsprechen, so scheint es, mit ihrem wohl abgestimmten und konzentrierten Spiel eher dem Geist des Zen.
Nik Bärtsch’s Mobile: Continuum. ECM 2464