Nicht nur im Untergrund
JOE-Festival Essen 2014
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Bernd Zimmermann
Die lustigen Anmoderationen von John Dennis Renken und Patrick Hengst beim Festival der Jazzoffensive Essen wurden manchmal richtig philosophisch. "Kultur ist nicht selbstverständlich" sagt der Festivalmacher zutreffend, man könnte diesen Satz als Motto über jede politische Podiumsdiskussion stellen. Aber man kann stattdessen auch einfach etwas "machen"! Nämlich dafür sorgen, dass sich die Jazzszene Gehör verschafft - und daran arbeitet die Essener Jazzinitiative tatkräftig und latent selbstausbeuterisch mit. "Ganz bewusst setzen wir den Förderbeitra der Stadt Essen nicht einzig fürs Festival ein, damit auch noch viele andere Konzerte laufen können" sagt Renken – denn eine breite Streuung hält eine Szene doch am besten am Leben!
Augenscheinlich ist das Katakombentheater eine moderne Reinkarnation des Jazzkellers von einst – man begibt sich so tief in den Untergrund, so dass sogar die Handyverbindungen kaum noch funktionieren. Auch sowas kann die Konzentration auf die Musik begünstigen. Das meist versunken zuhörende Publikum wirkt zumindest so, als hätte es die Botschaft verstanden. Umso mehr holt die Jazzoffensive den Jazz mit dieser Veranstaltung aus dem Untergrund heraus.
Mit dieser jüngsten Festivalausgaben gab es einmal mehr eine großartige Mixtur der pluralistischen Sprachen, in denen Jazz als kulturelle Praxis lebt.
Manche lassen es hier richtig krachen. Etwa die Essener Band "What a Waste of beauty", die sich nicht einfach an den Schönklang oder an überkommene Jazztraditionen verschwenden wollen. Sie haben zwar die hohen Weihen der Folkwangschule durchlaufen, stehen aber auch ganz doll auf Nirvana und co.. Und sowas gehört gelebt auf der Bühne! Mit zwei Saxofonen, E-Gitarre und aufpeitschendem Rockschlagzeug lassen sie die Freiheit der Improvisation mit der harschen Energie zeitgenössischer Punk- Rock und Noise- Stilistiken reagieren, legen manchmal einen puren Heavy Metal aufs Parkett, den immer wieder Freejazz Eroption durchschneiden. Rasante Schnitte, impulsive Breaks, Klangkaskaden. Sehr intensiv das!
Ebensolches leistet das Berliner "Melt Trio" und geht noch einen Schritt subtiler zu Werke. Weil ihr regulärer Drummer nicht kann, haben sie sich Andi Haberl als Ersatz-Schlagwerker "ausgeliehen". Der macht diese ohnehin schon subtil aufreizende Mischung aus Jazz und Post-Rock noch viel exzentrischer. Da haben sich Rockelemente aus den Songschablonen befreit und werden nicht zuletzt durch das Berliner Melt –Trio in die Freiheit der Improvisation entlassen. Extrem verschachtelte Rhythmik lässt ein Kaleidoskop aus verfeinerten Gitarrenkalngfarben rotieren, zum Stillstand kommt hier nichts und im Auge des Hurrikans ist auch ganz viel Lyrik.
Mutig ist auch die Sängerin Imke Johanne Spöring. Sie kann so viel mit ihrer Stimme anstellen, und ist so verspielt dabei! Um das Potenzial einer geschulten Jazzsängerin zur persönlichen Aura werden zu lassen, fällt der Essenerin auf der Bühne allerhand ein. Lautmalerische Gesten, mutige Stimmexperimente und kleine Exkurse leistet sie sich. Aber sie ist nicht allein, sondern wird zur gleichberechtigten Band mit Jan Bierther , Gitarre und Tarik Dosdogru - Vibraphon – beide sind zwei fantastische Rhythmiker auf ihren Instrumenten. Ein Song über Essen ist ein wunderbares Statement für den Lokalpatriotismus. In einem anderen Stück reflektiert sie augenzwinkernd über das Alltagsdasein der meisten Jazzmusiker/inen: Lust und Frust beim Erteilen vom Gesangsunterricht. Das alles wirkt bei Imke Spöring fragil, manchmal noch unfertig. Aber es ist ehrlich, inspiriert und wird weiter wachsen.
Jazz mit einem Bekenntnis zum unmittelbaren Ausdruck und Klang – damit hat der Freejazz zur ästhetischen Rebellion aufgerufen. Wenn Alexander von Schlippenbach, Paul Lovens und Evan Parker aufeinandertreffen, was durchschnittlich einmal jährlich passiert, dann lebt ein gemeinsames familiäres Urvertrauen. Natürlich proben die drei vorher nicht, das gehört mindestens zum guten Ton! Denn das echtzeitmäßig-spontane, das sich-finden, der Aufbau eines Flusses zählt. Bald läuft alles rund. Schlippenbach spielt seine Mikrolyrismen, Cluster und subtil eingeflochtene Monk Lyrismen evoziert einen Storm aus Klang. Evan Parker überschüttet alldies mit seinen Phrasen und Formeln. Paul Lovens entfesselt dazu seine Schlagzeugtechnik – ein prasselndes Feuerwerk, das selbst in schnellsten Läufen immer noch Note gegen Note getaktet ist. Wenig im Katakomben Theater verließen schon zu Anfang den Saal, der Rest war hypnotisiert. Schlippenbach lobte diesen Ort ausdrücklich hinterher.
Etwas sehr ähnliches, aber irgendwie auch das völlige Gegenteil davon kommt von einem der begabtesten jungen Schlagzeuger und Bandleader zurzeit. Christian Lillingers Septett GRUND ließ es vollwerden auf der Bühne. Die Anordnung der Band setzt auf Polarisierung. Pianist gegen Vibrafonist. Zwei Sax-Player im Zentrum, zwei Bassisten, die untenrum miteinander oder gegeneinander die Weichen stellen und oft berserkerhaft die tiefen Frequenzen aus der Tiefe schöpfen. Im Hintergrund zieht Lillinger die Fäder in trancehafter Bewegung die Fäder, mit denen er in dieser Gruppe nichts dem Zufall überlassen will und daher fast alles kompositorisch ausnotiert hat. Das ist wundersam, da diese Formation mit so viel vibrierender Spontaneität die Luft vibrieren lässt. Die Sinne werden zuverlässig überwältigt: Extrem dichte Gruppeninteraktion erinnert an legendäre Freejazz-Großformationen der 1960er oder auch an Colemans Kollektivimprovisationen. Aber die verschachtelten Interaktionen des GRUND-Septetts führen weiter. Nämlich direkt in die Ideenwelt von Stockhausen, Morton Feldman oder Iannis Xenakis, von denen sich Christian Lillinger ganz maßgeblich inspiriert fühlt.