Nicht nur für Spezialisten
34.Festival "Jazz an einem Sommerabend"
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Zbyszek Lewandowski
In Krefelds Jazzszene stehen aktuell einige Jubiläen an. In diesem Jahr feierte jener Ort, wo alles begann, sein sechzigjähriges (!) Bestehen - nämlich der kleine, aber feine Jazzkeller. Im nächsten Jahr blickt der Jazzclub Krefeld auf vier erfolgreiche Jahrzehnte zurück und dann wird auch das Open-Air-Festival „Jazz an einem Sommerabend“ zum 35. Mal über die Bühne gehen. Das klingt danach, dass in Krefeld vieles richtig gemacht wurde, wenn es um kulturelle Nachhaltigkeit geht.
Und die hat auch das Festival auf der Krefelder Burg Linn zu dem werden lassen, was es ist: Es ist ein malerischer Ort der Begegenung, ein wirkliches „Jazz-Fest“. Das heißt auch, dass man hier nicht von einem Überangebot erschlagen wird und vor allem die Bands nach Herzenslust lange Sets inclusive Zugaben spielen können. Die Programmauswahl bildet die Pluralität im Jazz ab: Und so gab es auch zur letzten Festivalausgabe echte Krefelder Lokalmatadoren, ebenso eine Jazz-Begegnung von Weltklasse und schließlich eine hoffnungsvolle europäische Newcomer-Formation, von der man wohl noch viel hören wird. Genau auf diese Ausgewogenheit kommt es dem künstlerischen Leiter Florian Funke an.
So wie das Festival untrennbar mit dem Jazzclub Krefeld verbunden ist, so gingen die fünf Musiker vom „Horst Hansen Trio“ ebenfalls aus diesem Umfeld hervor. Richtig verstanden: Es ist wohl das einzige fünfköpfige Trio in der Jazzwelt - ein Gespräch mit den Musikern klärte jedoch auf, dass es noch ein weiteres dieser Art gebe. Der Bandname deutet auf den Humor bei der eigenen Sache hin, der sich dann auch beim Konzert in Krefeld in vielen komödiantischen Ansagen ausdrückt. Aber Lukas Weber (Saxofon), Tobias Foller (Eckbert), Carsten Hackler (Piano), Till Menzer (Schlagzeug) und Lars Leibl (Bass) arbeiten sich auch mit leidenschaftlichem Ernst an ihren Instrumenten ab - das zeigte ihr Auftritt zur Eröffnung des Festivals. Ihre Sache ist ein durchaus bodenständiger Fusionjazz mit starken, gut bühnentauglichen Rockeinflüssen, genährt von schwelgerischen Melodienbögen und himmelsstürmenden Soli. (Also doch gut, dass Lukas Weber keine Banklehre gemacht hat, sondern Musiker wurde, nachdem er sich für das Vorstellungsgespräch bei der Bank die Haare nicht schneiden lassen wollte, wie er in einer Bühnenansage kundtat...) Zu ihrer musikalischen Sozialisation gefragt, stellten sie im Gespräch klar: „Unsere wichtigste Schule ist das jahrelange Zusammenspiel im Probenraum, ebenso hat uns die Straßenmusik erheblich weitergebracht, um für ein Publikum Musik zu machen.“
Der mittlere Programmpunkt auf dem Krefelder Sommerabend geht immer mit der „blauen Stunde“ einher und ist daher atmosphärisch etwas ganz besonderes. Diesmal kam es zu einer wahren Sternstunde der Versenkung: Anders kann man nicht umschreiben, was die japanische Pianistin Makiku Hirabayashi, die legendäre Schlagzeugerin Marylin Mazur und ihr Lebensgefährte am Bass Klavs Hovmann freisetzten. Zeitlos lyrische, manchmal kammermusikalische Jazzideome werden unter den sensiblen Händen der drei zu viel mehr als solchen, wenn sie in höhere Sphären der Empfindung vorstoßen. Makiku Hirabayashi intoniert sensible, manchmal romantisch fragile Melodiebögen, verdichtet diese improvisatorisch, so dass es jede Nervenzelle berührt. Marilyn Mazurs Trommelkunst ist mit intuitivem Gespür ganz dicht dran an so etwas, klinkt sich sogar phasenweise auf ihren vielen Becken direkt in die Linien des Klaviers ein – nicht nur dies wirkte wie ein freudvoller Schwebezustand.
Zum Finale des Sommerabends in Krefeld räumte die polnische E-Bassistin Kinga Glyk mit allen üblichen Bassisten-Rollenklischees auf. Der Bass ist in ihrer Band nicht länger die unauffällige, notwendige Eminenz im Hintergrund. Denn dafür explodiert viel zu viel Spielfreude unter den Händen der 21jährigen und wird der E-Bass zum omnipotenten solistischen Werkzeug, um jede Bühne zu rocken. Von kleinauf war sie von der Saitenakrobatik eines Jaco Pastorius infiziert – davon angetrieben, hat Kinga Glyk längst alle spieltechnischen Hausaufgaben gemacht! Sie ließ es in Krefeld daher erwartungsgemäß krachen und grooven - liebend gerne auf Basis von heißen Fusionfunk-Stilistiken aus den 1970ern und 80ern. Befeuert wurde ihr Spiel von ihrem Vater Irek Glyk am Schlagzeug sowie von Keyboarder Rafal Stepien. Wünschen kann man Kinga Glyk, künftig noch mehr eine eigenständige künstlerische Stimme auszubilden, vor allem kompositorisch. In dieser Hinsicht schlägt sie aber schon jetzt vielversprechende Wege ein: Vor allem, wenn sie, im Schneidersitz auf dem Boden sitzen, ihren E-Bass in gefühlvollen Balladen singen lässt.
Diese drei Bands leisteten in Krefeld aber noch mehr: Nämlich jenes Vorurteil Lügen zu strafen, dass Jazz vor allem eine kopflastige, akademische Spezialistenmusik für Minderheiten ist.