Neun Jazz-FotografInnen aus NRW
Katrin Scherers MOMENTUM
TEXT: Ingo Marmulla | FOTO: Ingo Marmulla
Auch wenn Fotografen häufig eine ruhige Konzertatmosphäre stören können, so sind sie dennoch ein wichtiger Bestandteil der Musikszenerie, zumindest ein wichtiger Bestandteil des Jazz. Auf Jazzfotos kann man häufig zum ersten Mal die Intensität des musikalischen Ausdrucks eines Musikers entdecken. Die Mimik, die Geste beim Improvisieren, die Aura der künstlerischen Persönlichkeit, seine „optische“ Strahlkraft, hier in der Zweidimensionalität werden sie besonders sichtbar.
Umgekehrt sind für Fotografen Jazzmusiker deshalb so interessant, weil diese ganz unterschiedlich, sehr individuell agierend und optisch häufig recht extrovertiert sein können. Hinzu kommt die Nähe des Fotografen zu seinem Zielobjekt. Frei nach Capas Grundsatz, möglichst nahe am Ort des Geschehens zu sein, haben die Jazzfotografin und der Jazzfotograf beim Jazzkonzert in der Regel noch eine gute Möglichkeit, diesen Anspruch zu erfüllen.
Neun dieser Fotograf(inn)en wurden mit ausgewählten Schwarz-Weiß- bzw. Farbfotos in der Vernissage der Fotoausstellung im historischen Treppenhaus des Dortmunder Domicils vorgestellt und sind dort mit ihren Arbeiten noch bis zum 21.Dezember. zu sehen. Kuratiert wurde das Projekt durch Kurt Rade und das Team Kunstgruppe Domicil.
Die Auswahl der Fotokünstler fiel dabei auf Profis und Amateure, die „allesamt renommierte Könner ihres Fachs“ sind, und „sich zudem schwerpunktmäßig der fotografischen Dokumentation und Umsetzung von Jazzkonzerten widmen“. Zu sehen sind: Jana Heinlein, Elisa Essex, Sven Thielmann, Christoph Giese, Heinrich Brinkmöller-Becker, Gerhard Richter, Peter Tümmers, Lutz Voigtländer, Christian Westphalen.
In seiner Eröffnungsrede wies Kurt Rade auf die diversen Herangehensweisen sowie auf die unterschiedliche Musikerauswahl hin. Da gibt es spektakuläre Aufnahmen von Weltstars wie Miles Davis, Ray Charles, Betty Carter (Sven Thielmann) zu sehen, oder Avantgardekünstler in völlig neuer Serientechnik in Schwarz-Weiß (Heinrich Brinkmöller-Becker). Allen Fotos kann man das gemeinsame Ziel entnehmen, die menschliche Seite des kreativen Musikers zu beleuchten und die musikalische Seele „verstärkt“ abzulichten. Der Kölner Fotograf Gerhard Richter ergriff zum Ende des Eröffnungsaktes noch einmal die Gelegenheit, sich für die Teilnahme an dem Projekt zu bedanken, und zeigte sich überrascht von der Vielfalt der Jazzangebote im Ruhrgebiet. Da möchte man ihn und auch weitere verwöhnte Kölner Lichtkünstler ermutigen, häufiger den Kamerablick über die Stadtgrenze hinaus zu wagen. Zwischen den Redebeiträgen gab es solistische Einlagen der Saxophonistin Katrin Scherer, die mit ihrer Band „MOMENTUM“ anschließend im Domicil auftrat.
Ich hatte die Gelegenheit im Gespräch mit Katrin im Vorhinein einige Informationen zum neuen Bandprojekt zu erhalten. Der Name dieses neuen Projektes passte an diesem Abend besonders gut. Hat doch Henri Cartier-Bresson für die Fotografie den Aspekt des „entscheidenden Augenblicks, des entscheidenden Moments“ geprägt, so wird hier dieser Grundsatz in Scheres neuer Band auf die improvisatorische Zeiteben übertragen: Entscheidungen des Moments bestimmen den weiteren Verlauf des gemeinsamen Musizierens. Das Trio mit Benjamin Schaefer am Keyboard, dem an diesem Abend ersatzweise spielenden Percussionisten Dominik Mahnig und Katrin Scherer führte diese momentanen Entscheidungen überzeugend herbei. Der Rahmen war freilich vorgegeben durch die Kompositionen, die alle von Katrin Scherer stammen. Die Titel dieser Stücke verraten häufig noch nicht all zu viel: „Moonraker“ („... der beste James Bond Film mit Roger Moore...“), 5:30 AM oder „Stück Nr. 12“ („Wenn jemand einen guten Titel für das Stück weiß, möge er sich später melden ...“). Häufig begegnen wir mehr als einem Thema pro Komposition, die unterschiedlichen Impulse werden improvisatorisch zusammen geführt - wie der genaue Verlauf des Stückes sein wird, lässt sich nicht immer voraussagen. Neben ruhigen Klangflächen stehen rhythmisch energetische Passagen, atonale Melodielinien stehen neben tonalen Strukturen. Scherer fügt mit ihrer Band dies alles zu einem konzentrierten Ganzen zusammen. Grundlage von allem ist natürlich der moderne Jazz in seiner Vielfalt, auch wenn in vielen Verläufen Elemente des rauen Rock und Punk nicht zu überhören sind. „Ich bin ein Kind der Achtziger Jahre, da bleibt das nicht aus!“ Sehr gut beschrieben ist die Musik auf dem Cover des neuen gleichnamigen Albums: „Das Profil der Musik trägt ganz klar die unverkennbare Handschrift von Katrin Scherer. Ihre Kompositionen geben der Musik einen äußeren Rahmen und sind Anknüpfungspunkt für wilde aber auch minimalistische Improvisationen ...“. (Die Musiker) „erzeugen üppige, karge, kraftvolle, feinsinnige Klanglandschaften und sind dabei immer am Puls der Zeit.“
Fazit: Ein interessanter Abend im Dortmunder Domicil mit einer gelungenen Ausstellungseröffnung und einem spannenden Konzert, das dem Publikum keine leichte Kost servierte, aber gerade durch die Unmittelbarkeit, gekonnte musikalische Darbietung und Herzlichkeit insbesondere der Bandleaderin dem begeisterten Publikum einen unvergesslichen Abend bot.
Katrin Scherers MOMENTUM (Green Deer Music 08)