Muziek Biennale Niederrhein
Performance Konzert in der Kunstsammlung
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam
Unter der Titel „Heute: Morgen! – Audiovisuelle Konversationen werden vier Performance Konzerte in der Niederrhein Region gespielt. Grenzüberschreitend als Teil der Muziek Biennale Niederrhein.
Das erste Konzert findet in der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW statt. Performance Konzerte, die in der Düsseldorfer Kunstszene eine lange Tradition haben, man denke nur an Künstler wie Nam June Paik, sind etwas in den Hintergrund getreten. Seit einigen Jahren wird diese Kunst von den beiden Komponisten Kunsu Shim und Gerhard Stäbler wieder gepflegt.
In Zusammenarbeit mit dem niederländischen Performance Ensemble Lunatree aus Tilburg (NL) gestalten die beiden Komponisten und Performance Künstler, unter Mitwirkung des BachEnsemble Niederrhein, ein vielschichtiges Programm.
Das Ensemble Lunatree eröffnet das Konzert mit dem Stück “Coming Together“ (1973) von Frederic Rzewski. Mit diesem Stück hat Rzewski das Gefängnisleben in den USA abgebildet, der Text stammt von dem im Attica State Prison getöteten Sam Melville. Das Stück hat eine durchgehende Basslinie aus 16tel Noten, die in fünf Tonhöhen variiert werden. So entsteht eine nur scheinbar gleichförmige Basslinie, die aber unvorhersehbar ist. Wie ein Tagesablauf im Gefängnis. Im Stück ist neben den auskomponierten Teilen auch Raum für Improvisation. Verbunden mit dem Sprechgesang erinnert es an einen Song von Velvet Underground. Obwohl der Text aus einem Brief stammt, der im Attica Prison 1971 geschrieben wurde, hat er heute noch eine beklemmende Aktualität.
Dieses Eröffnungsstück ist paradigmatisch für das ganze Konzertprogramm, wenn auch der politische Bezug in den anderen Stücken subtiler und weniger direkt ist. So geht es bei dem Konzert um das Wahrnehmen und Reflektieren des Heute, als Ausgangssituation für eine Gestaltung des Morgen.
„Musik ist immerLiebe zum Hören… Das Hören geht vielmehr um die Einzigartigkeit der zu Hörenden Momente. Es ist Freude und Erschütterung, und dort erträumen wir die Zukunft als Entgrenzung des Heute.“ So steht es im Programm geschrieben und so ist das Konzert angelegt.
Wenn Kunzu Shim in der Performance „Entpuppen“ (2000), Kuscheltiere aufreißt, die Füllung herauszupft und auf den Boden wirft entstehen viele Assoziationen: die von Flüchtlingskindern, über Konsumüberschuss bis hin zur Vergänglichkeit reichen.
Simultan führt Stäbler “Golder than Golder“ auf, bei dem er auf dem Boden strampelt, schreit und schließlich nur noch Geräusche von sich gibt.
Ebenso reich an Bezügen ist die einfache Performance „Bonsai“ (2011) bei der Kunzu Shim einer Pflanze die Triebe abreißt und auf den Boden wirft, dort kniet Stäbler and pflanzt die abgerissenen Triebe wieder in kleine Töpfe mit Erde. Zerstörung und Wiederaufbau, aus einem großen Gebilde entstehen viele kleine, Gefährdung der Natur versus Ökologiebewegung und vieles mehr.
Die Lunatree MusikerInnen und der Bachchor begleiten die Performance.
Der Bachchor singt sowohl zeitgenössische Musik, wie Kunzu Shims Werk “For Here But“ (2014) für sechs Stimmen, als auch zwei Lieder aus der Romantik von Robert Schuhmann und Johannes Brahms.
Gerhard Stäbler lässt das Publikum „Ausriss – Hymne für ein anderes Land“ singen, nach einem Text von Heiner Müller. Einige Teile sind fest notiert, andere lassen offen welche Tonhöhe die SängerInnen wählen. Dann summt ein Teil des Publikums und ein anderer Teil liest das Gedicht stimmlos und läst nur gekennzeichnete Konsonanten hören.
Lunatree präsentiert Ryoji Ikedas “Data.Vertex/Data.Flex“ (2005) und “Narayana`s Cows“ (1989) von Tom Johnson, dass nach einer mathematischen Reihe komponiert wurde, die auf einen indischen Mathematiker aus dem 14. Jh. zurückgeht.
Kunzu Shims „Zwei Halbmonde“ I-III werden gesungen und gespielt und noch einiges mehr.
Es ist nicht einfach nur eine Musikaufführung, sondern ein Performance Konzert und findet in einer großen weißen Halle der Kunstsammlung NRW statt. Die Halle wird genutzt und mit einbezogen. Kunzu Shim, Gerhard Stäbler und die Mitglieder von Lunatree gehen durch den Raum, springen, laufen, positionieren sich an unterschiedlichen Stellen. Auch der Bachchor ist in besonderer Weise aufgestellt. Kunzu Shim und Gerhard Stäbler, aber vor allem auch das Ensemble Lunatree schaffen es, dass Musik, Bewegung und Raum immer in lebendiger Beziehung zueinander stehen.
Eine Ausnahme bilden die beiden romantischen Lieder, da steht der Chor in gewohnter Formation, vielleicht die einzigen Momente im Konzert, in denen der Raum nicht mit einbezogen wird.
Am Ende zieht Gerhard Stäbler einen Handwagen, auf dem Kunzu Shim steht, ein Tablett mit Gläsern haltend, durch die Mitte der Halle.
Dann werden noch die eingepflanzten Setzlinge aus der „Bonsai Performance“ an das Publikum verteilt. Ein Aspekt der Nachhaltigkeit, jede Besucherin, jeder Besucher hat nun ein kleines Töpfchen mit einer Pflanze zu Hause, als Reminiszenz an das Performance Konzert, das vielleicht unsere Wahrnehmung sensibilisiert und unser Vermögen schärft „die Welt – individuell und im sozialen Kontext – emotional wie kognitiv zu erfassen“ (Programm).
Mitwirkende:
Kunzu Shim, Gerhard Stäbler – Performance, Komposition
Lunatree PrformanceEnsemble: Jennifer van der Hart, Fanny Alofs, Lars Wouters van den Oudenweijer, Toon Bierman, Janneke van Prooijen, Bence Hszar, Arnold Marinissen, Vincent van Kekerix
BachEnsemble Niederrhein – Gesang