Musikstadt Vilnius
Impressionen vom Kristupo Festival 2025
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Modestas Endriuška & Jurgita Satkūnaitė
Was für eine betörende Stimme hat der Mann! Und spielt auch noch eine bluesige E-Gitarre in allen Schattierungen, mit den unterschiedlichsten Gefühlen und in den verschiedensten Stimmungen. Mit beidem fängt Bai Kamara Jr. das Publikum gleich von der ersten Minute an ein in der vollbesetzten, zauberhaften St. Catherine´s Church, die heute zu den schönsten Kulturorten in der litauischen Hauptstadt zählt. Auch, weil er zudem noch über eine gehörige Portion Charisma verfügt, sympathisch, aber nie ausufernd zwischen den Songs was über die Lieder, aber auch über sich selbst und sein Leben erzählt. Aus Sierra Leone stammt der Singer-Songwriter, ist aber auch in England aufgewachsen und lebt viele Jahre schon in Brüssel. Dort hat Festivalleiterin Jurgita Murauskienė sich sein Soloprogramm mit den neuen Songs angehört und war sofort der Meinung: das muss ich nach Vilnius holen. Und so sitzt oder steht der Endfünfziger nun auf der warm ausgeleuchteten Bühne, die unter anderem mit zwei Sesseln ausgestattet wie ein gemütliches Wohnzimmer wirkt, und singt von falschen Hoffnungen, von der eigenen Sterblichkeit, von den Wegen zur Liebe und auch darüber wie nötig es doch in der verrückten aktuellen Welt ist Frieden und Liebe zurückzubringen. Mal ist sein westafrikanisch beeinflusster Blues dabei kurzzeitig hypnotisch, bevor es dann auch mal richtig rockig wird in der Kirche, um ein positives Lebensgefühl zu unterstreichen.
Bunt und genreübergreifend
Die 31. Ausgabe des Kristupo Festivalis (Christopher Summer Festival) bietet in jedem Sommer über zwei Monate lang ein buntes, genreübergreifendes Programm, das fast jeden Geschmack ansprechen dürfte. Angefangen von kostenlosen Konzerten im Park über den ebenfalls kostenlosen Konzertzyklus Sacred Music Hours in der St. Casimir´s Kirche, wo die Kirchenorgel zwar im Mittelpunkt steht, aber oft mit Solisten oder Chören erweitert wird.
Und auch das Hauptprogramm bietet jedes Mal Überraschendes. Die Geschwister Sobral gemeinsam auf einer Bühne zu sehen etwa. Luísa Sobral hatte einst den Song „Amar Pelos Dois“ komponiert, mit dem ihr Bruder Salvador Sobral als erster und nach wie vor einziger Portugiese 2017 den European Song Contest im ukrainischen Kiew gewann. Zusammen treten sie äußerst selten auf, außerhalb Portugals war es jetzt das allererste Mal überhaupt. Was würden sie wohl spielen? Zunächst einmal erzählen beide ganz freimütig von ihrer Kindheit und spielen einen ganzen Schwung an Liedern, die sie während dieser Zeit und in ihrer Jugend gehört haben. Ein poetisches Liebeslied der brasilianischen Sängerin Maria Bethânia, Musik vom Vater des portugiesischen Rock, Rui Veloso, oder des portugiesischen Poeten und Liedermachers Sérgio Godinho. Aber auch Lieder von den Spice Girls, Shakira oder Simon & Garfunkel. Man reibt sich bei dieser Songauswahl schon ein wenig verwundert die Augen. Aber die beiden brechen auf Klavier (Salvador) und Gitarre (Luísa) und mit ihren so ausdrucksvollen Stimmen all diese Musik runter auf das intime Duoformat und verpassen jedem Stück Musik einen persönlichen, oft nicht so erwarteten Anstrich.
Irgendwann kommen sie dann doch, die selbstgeschriebenen Songs. Lieder voller Poesie und Gefühl. Schlicht und doch so reichhaltig. Klar dass der ESC-Gewinnersong auch dabei ist. Am Ende hat man einen sehr bunten, unterhaltsamen Abend erlebt. Und nicht nur in einem Moment, als Tränen in Salvador Sobrals Gesicht zu sehen sind, ist die enge Verbindung der beiden Geschwister in der Kunst und im Leben zu spüren gewesen.
Spiritualität, Freiheit und Mut
Salvador Sobral ist auch der Link zur transatlantischen Band AYOM. Wirkt der Portugiese doch beim aktuellen, zweiten Album der Band als Gastsänger beim Bonustrack mit. Beim alten italienischen Canzione „lo sono il vento“, der schon Ende der 1950er Jahre beim berühmten San Remo Music Festival erklang. AYOM-Sängerin Jabu Morales interpretiert ihn in Vilnius zauberhaft als erste von drei stürmisch geforderten Zugaben. Und überrascht damit. Will dieses Lied doch so gar nicht passen zu der Black Atlantic Music, wie AYOM ihre Musik selbst nennen. Aber es zeigt eigentlich nur die Offenheit und Vielfalt dieses aufregenden und live absolut mitreißenden Sextetts mit Musikern aus Brasilien, Argentinien, Italien, Griechenland und Angola. Eine Samba aus Angola, ein feuriger Frevo aus dem Nordosten Brasiliens, hörbare Referenzen zur afrobrasilianischen Candomblé-Religion - im Mix mit kapverdischen und südeuropäischen Elemente und Energien und neuerdings auch ein paar elektronischen Klängen entstehen vielfach fröhlich und beschwingt klingende Songs, die aber gleichzeitig Themen wie Spiritualität, Freiheit oder Mut in den von der Brasilianerin Jabu Morales so ausdrucksstark gesungenen Liedtexten ansprechen. Und mit gleich drei Perkussionisten besetzt, gehen AYOM auch rhythmisch ordentlich zur Sache. Kein Wunder dass am Ende das ganze Publikum tanzt oder sich zumindest bewegt.