Bild für Beitrag: Musikalisches Puzzle | Trans4JAZZ-Festival 2012
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Musikalisches Puzzle

Trans4JAZZ-Festival 2012

Ravensburg, 14.11.2012
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Christoph Giese (Archiv)

Normalerweise werden an diesem Ort die weltberühmten Gesellschafts- und Puzzle-Spiele hergestellt. An diesem Abend aber gibt es ein besonderes, ein musikalisches Puzzle im Foyer der Ravensburger AG zu erleben. Das Quartett James Farm ist zu Gast. Saxofonist Joshua Redman, Pianist Aaron Parks, Bassist Matt Penman und Drummer Eric Harland spielen seit 2009 als James Farm zusammen und das hört man. Unglaublich dicht und doch zugleich auch leichtfüßig klingen selbst komplexere Strukturen. In weiten Bögen und dramaturgisch jeden Song individuell gestaltend agieren diese vier Musik-Asse gemeinsam, auch mal mit rockiger Kraft und dabei doch immer elegant und griffig. Starke, emotionale Stücke geschickt durchstrukturierter Jazzmusik, die dennoch Improvisationsfreiräume bereithält und einen unweigerlich in den Bann zieht. Durch ihre Virtuosität, ihre Energie, ihren Vorwärtsdrang und ihr Ineinander verzahnen – alles Puzzleteile zu einem homogenen Gesamtbild.

Wie nur will man dieses Konzert remixen? Denn das ist in diesem Jahr, bei der neunten Ausgabe des „Trans4JAZZ-Festivals“, eine Neuigkeit: Live-Remixe. Programmgestalter Thomas Fuchs hat sich da vom Live Remix-Festival Punkt im norwegischen Kristiansand inspirieren lassen. Nun also gibt es also auch in Ravensburg und im Nachbarort Weingarten Live-Remixe zu hören. Trompeter Joo Kraus, DJ, Produzent und Perkussionist Christian Prommer und Schlagzeuger Matteo Scrimali probieren sich an einer Nachbearbeitung des James Farm-Konzertes – und liefern schließlich einen groovigen, treibenden Set mit feinem, tanzbaren Dancefloor-Jazz ab, der sich allerdings nicht sehr stark am Minuten zuvor erlebten Auftritt von Joshua Redman und Co. orientiert. Deutlich erkennbarer remixen einen Abend zuvor das kongeniale Trio Martin Gretschmann, DJ NU und Saxofonist Johannes Enders das Konzert von Gretchen Parlato und ihrer Band. Die US-Sängerin verzaubert in der Linse, einem atmosphärischen, alten Kino in Ravensburgs Nachbargemeinde Weingarten, mit ihrer großen Gestaltungskunst. Sie ist alles andere als eine Sängerin mit Riesenstimme und wilden Gefühlsausbrüchen. Sonderlich abwechslungsreich ist ihr Gesang auch nicht. Doch die New Yorkerin weiß wunderbar zu phrasieren. Und es sind die Songs und deren oft zum Pop tendierenden Interpretationen, die ihre Magie ausmachen. Simply Reds „Holding Back The Years“ etwa gerät zur völlig relaxt groovenden R&B-Nummer. Das liegt auch an ihrem Trio, das so unglaublich lässig und laid back spielt. Großartig! Und dieses Atmosphärische übernimmt das Remix-Trio, das sich mehr auf kleine Melodiefetzen und Extrakte des Bandsounds als primäre Quelle für ihren mit über einer Stunde Dauer vielleicht ein wenig zu langen Remix stützt als auf vokale Samples von Gretchen Parlato. Die „Stimme“ des Remix bildet eher Johannes Enders mit seinen Tenorsax-Linien ab, während die beiden Klangtüftler an seiner Seite in weit gespannten Bögen ihre elektronischen Soundwelten kreieren.

Kreieren und laid back spielen, das trifft auch auf das Robert Glasper Experiment zu, der in der vollbesetzten Zehntscheuer auftritt, einem mehr als 650 Jahre alten Fachwerkgebäude, um seine aktuelle Platte „Black Radio“ vorzustellen. Natürlich ohne die ganzen klangvollen Vokal-Gäste des Albums, dafür mit Casey Benjamin. Der bläst in Saxofone und jagt seine Gesangsstimme durch einen Vocoder, was bei zweistündiger Konzertdauer vielleicht doch ein wenig viel Stimmmanipulation ist. Immerhin zeigen die vier Musiker um Robert Glasper, wie man die Schnittstellen zwischen Jazz, R&B und psychedelisch angehauchtem Soul zu einer süffigen, frischen Black Music zusammenrührt, die definitiv fürs Radio taugt.

Erstmals ist auch eine Buchhandlung Spielort des Festivals. In einer Matinee am Sonntagmorgen gibt es die Uraufführung des François Villon – Projektes zu erleben. „Trans4JAZZ“-Programmgestalter Thomas Fuchs sitzt hinterm Laptop, um gesampelte Sounds abzurufen. Begleitet von Perkussionist und Holzbläser Andieh Merk sowie Bassist Florian King schafft Fuchs den musikalischen Unterbau für die gleichzeitig dazu stattfindende Lesung von Texten des französischen Dichters François Villon durch den Schauspieler Hartmut Lange. Der marschiert mit markanter, in den passenden Momenten herrlich dramatischer Stimme durch die teils frivolen Texte – ein fesselndes Klang- und Leseabenteuer.
Wenn schon eine Norwegerin kurz nach Konzertbeginn nach hinten geht, um sich aus der Garderobe ihre Jacke zu holen, dann ist es wirklich kalt. Die unbeheizte Liebfrauenkirche in der Ravensburger Altstadt aber kann das Vergnügen des Festival-Abschlusskonzertes nur wenig schmälern, denn die solo auftretende Susanne Sundfør beendet das fünftägige Jazzevent mit wunderbar ruhigen, dunklen, nachschwingenden Fender Rhodes-Klängen, zu denen sie mit glockenheller Stimme singt – eine ehr gefühlsintensive Mischung, die berührt.

Vom Auftaktkonzert mit krachendem Jazzrock von John McLaughlin und seiner 4th Dimension im wunderschönen, historischen Konzerthaus von Ravensburg bis zum Kehraus in der Kirche präsentiert sich „Trans4JAZZ“als äußerst sympathisches Festival, das mit einem Klasse-Programm, interessanten Spielorten und einem engagierten Festivalteam rundum überzeugt. Die zehnte Jubiläumsausgabe im nächsten Jahr ist schon in Planung – das Abschlusskonzert in der Kirche bereits fix. Ein Besuch lohnt sich – nicht zuletzt auch wegen der sehr entdeckungswürdigen alten historischen Handelsstadt Ravensburg und dem nicht minder attraktiven Umfeld mit dem Bodensee gleich um die Ecke.

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