Musik und Theater in Köln Vol. 1
Eine Improvisationslesung mit Manos Tsangaris
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Hpschaefer
Im Schauspiel Köln gab es am 5. Februar eine Lesung mit Musik. Es ging um existenzielle Fragen über die Rolle von Islam und Christentum, von Religion im Allgemeinen und um Gott. Der im Iran geborene und seit Jahrzehnten in Köln lebende Schriftsteller Navid Kermani stellte sein neues Buch Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen – Fragen nach Gott im Schauspiel Köln vor und ging dabei in einen musikalischen Dialog mit der Pianistin und Komponistin Pi-hsien Chen und dem Perkussionisten, Performancekünstler und Komponisten Manos Tsangaris, die ebenfalls beide in Köln leben.
Das Gespräch über das Staunen, über den Sinn von Religion und letztendlich die Frage nach Gott selbst, das Navid Kermani mit seinen Gästen auf der Bühne des Schauspiel Köln im Depot 1 führte, war so bewegt, lebendig und raumgreifend, dass fast keine Zeit für die musikalische Improvisation von Pi-hsien Chen und Manos Tsangaris blieb. Dabei war dieser musikalische Teil wichtiger als es den Anschein hatte. Die gemeinsame Improvisation von Pi-hsien Chen und Manos Tsangaris, gab dem Publikum Raum, all die Argumente und Konzepte im Zusammenhang mit Religion und Gottesvorstellungen einen Moment loszulassen und den Geist wieder zu öffnen für eine direkte Erfahrung, eine Erfahrung von Musik, die in diesem Augenblick entstand und erlebt werden konnte. Aber sie war viel mehr. Wenn über das Endliche und Unendliche, über das Unaussprechliche diskutiert wurde, dann blieb das Gespräch, so anregend und fruchtbar es war, natürlich im Konzeptionellen gefangen. Die Unvorhersehbarkeit der Improvisation, das Erleben von Alltagsgegenständen, die aus ihrer üblichen Funktion befreit und nun zu Klangkörpern wurden, die Unmittelbarkeit des ästhetischen Handelns und Erfahrens und nicht zuletzt die direkte Klangerfahrung selbst, sind mögliche Ausdrucksweisen, dessen was Gegenstand der Diskussion war.
Musik als Tor zur Unendlichkeit?
Wenn im Gespräch, angeregt durch den Astrophysiker Heino Falcke, konstatiert wurde, das die Unendlichkeit sich dem direkten Verständnis des Menschen entzieht, dann kann gerade in der Erfahrung von Musik eine Tür in diesen Bereich aufgestoßen werde, der dem rein analytischen Verstand verschlossen bleibt. Nicht umsonst haben viele Mystiker*innen ihre mystischen Erfahrungen in Form von Musik, Poesie oder Tanz wiedergegeben, insbesondere die islamischen Sufi-Mystiker. Sie taten das, weil diese Ausdrucksformen für sie adäquater waren als Worte.
Dies gilt sicher für alle Arten von Musik, nicht nur für Improvisationsmusik. So auch für die zwei Klavierstücke von Domenico Scarlatti zu Beginn und das Werk von Schubert, am Abschluss, vorgetragen von Pi-hsien Chen. Vielleicht liegt das Besondere von improvisierter Musik darin, das gewohnte Formen und Hörgewohnheiten aufgebrochen werden und sich so neue Erfahrungsräume eröffnen können.
Wenn Pi-hsien Chen am Klavier erst tastend, dann sehr behände mit der Perkussion von Manos Tsangaris, auf Trommel, Gasflasche und anderen Gegenständen, in Dialog ging, wurden gewohnte Hörmuster überschritten, etwas Neues, etwas Unbekanntes konnte erlebt werden. Es war der musikalische Ausdruck, des Statements von Manos Tsangaris, der sagte, dass er all den Definitionen von Gott nicht folge, sondern in der Übung sich davon frei machen möchte. Wie heißt es doch in der Bibel: Du sollst Dir kein Bild von Gott machen.
Improvisierte Musik ist für die direkte Erfahrungs prädestiniert
Der Schauspieler Martin Reinke, der sowohl aus Kermanis Buch gelesen hat, als auch in die Diskussion aktiv eingriff, nannte diese unbenennbare Energie die alles durchwaltet versuchsweise Godot nach Beckett. Aber genauso gut könne man auch Gott sagen. Etiketten sind austauschbar. Und hier kommt wieder die Musik, vielleicht in besonderem Maße die improvisierte Musik, ins Spiel. Hier gibt es keine begrifflichen Etiketten mehr, hier haben wir die Möglichkeit einer direkten Erfahrung – von was auch immer.
All diese Überlegungen sind durch diesen wunderbaren Abend im Schauspielhaus angeregt worden. Durch den Schriftsteller Navid Kermani und sein neues Buch, in der Form eines Dialogs mit seiner zwölfjährigen Tochter, der dabei besonders das Thema Islam und Christentum beleuchtete. Durch den Schauspieler Martin Reinke, der sich mit dem Urknall beschäftigt hatte und den Namen Godot als Hilfskonstruktion für eine höhere Macht benutzte. Durch den Astrophysiker, der an den ersten bildlichen Darstellungen eines schwarzen Loches beteiligt war und für den Physik das Endliche beschreibt und Religion das Unendliche. Durch Pi-hsien Chen, die nicht nur wunderbar Klavier spielte, sondern auch das Staunen über die Schönheit der Musik ansprach. Nicht zuletzt durch Manos Tsangaris, der Transzendenz und Immanenz zusammenbrachte mit seinem Ansatz von direkter Erfahrung, jenseits von Gottesbildern.
Diese Lesung mit Musik zu begleiten, war eine gute Entscheidung, die den Abend sehr bereicherte, nur hätte ich mir mehr Musik gewünscht, als Raum für Erfahrungen jenseits der Worte.
Die Veranstaltung war eine Kooperation des Schauspiels Köln mit dem Hanser Literaturverlag und dem Literaturhaus Köln.