Musik in der Kunsthalle Düsseldorf
Erzählen – ein Konzert zur Ausstellung Surprize
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam
Es hat schon eine lange Tradition, dass die Kunsthalle Düsseldorf als Begleitprogramm zu den Ausstellungen Konzerte veranstaltet. Seit einigen Jahren gibt es eine Zusammenarbeit mit den beiden renommierten Komponisten und Performance Künstlern Gerhard Stäbler und Kunzu Shim.
Zur Ausstellung Surprize findet ein Konzert mit dem Titel Erzählen statt. Die Ausstellung zeigt junge Kunst der Stipendiat*innen des Best Kunstförderpreises. Zehn junge Künstler*innen zeigen ihre Werke, eine Austellung mit vielen Überraschungen, wie der Titel bereits suggeriert.
Gerhard Säbler und Kunzu Shim haben in Zusammenarbeit mit dem Minguet Quartett ein Programm zur Ausstellung entwickelt. Das Minguet Quartett gehört zu den international führenden Streichquartetten und hat in allen großen Häusern der Welt gespielt. Der Schwerpunkt ihres Repertoires ist die klassisch-romantische Literatur und die Musik der Moderne. Namenspatron des Quartetts ist der spanische Philosoph und Musikpädagoge Pablo Minguet (1733-1801), der sich darum bemühte, auch dem einfachen Volk Zugang zu den Schönen Künsten zu ermöglichen. Das Minguet Quartett ist dieser Idee besonders in der heutigen Zeit verpflichtet.
Gerhard Stäbler und Kunzu Shim haben als Motto für das Konzert ein Zitat des koreanisch-deutschen Philosophen Byung-Chul Han gewählt:
„Aus Daten und Zahlen allein, wie umfassend sie auch sein mögen, ergibt sich keine Selbsterkenntnis. Zahlen `Erzählen` nichts über das Selbst. Zählung ist nicht Erzählung. Nicht Zählen, sondern Erzählen führt zur Selbstfindung oder zur Selbsterkenntnis.“
Zum Erzählen gehört auch das Zuhören, sich auf die Erzählung einzulassen. Das Konzert soll diese beiden Seiten des Selbsterkenntnisprozesses anregen, Erzählen und Zuhören.
Das erste Werk, das das Minguet Quartett spielt, sind 6 Bagatellen Op. 9 (1911-13) von Anton Webern. Fünf davon werden zuerst gespielt.
Das Minguet Quartet spielt diese kleinen, langsamen Bagatellen mit großer Liebe zum feinen Detail. Die Zuhörer*innen in der Kunsthalle müssen mit großer Achtsamkeit diesen filigranen Klanggebilden folgen, um sie in ihrer Schönheit und Tiefe zu erleben. Hier entfaltet sich das erste Erzählen.
Weitergeführt wird das Erzählen mit dem Werk Über/Unterdruck der iranischen Komponistin Elnaz Seyedi, die auch anwesend ist. Sie möchte mit ihrer Musik zu einer “nicht-hierarchischen Gesellschaft“ beitragen.
Nun folgt die 6. Bagatelle von Webern und ein Werk von Kunzu Shim: Luft.Inneres für vier Streicher.
Die Zuhörer*innen sitzen aufgrundder Pandemie mit großem Abstand voneinander. Zwischen den Stühlen sind weiß-rote Absperrbänder gespannt an denen Plastikflaschen befestigt sind. Diese Vorkehrung wirkt wie eine Hygienemaßnahme, ist aber, wie sich dann herausstellt, teil einer Performance.
Während der Symphonie – Monoton, Silence (Kurzversion) von Yves Klein, gehen Gerhard Stäbler und Kunzu Shim durch den Raum und zerschneiden und entfernen die Absperrbänder, was mit Scheppern und Rascheln verbunden ist. Yves Kleins Werk ist ein monotones, an Minimal Music erinnerndes Stück, das nun durch die “Musique concrete“ der Performance ergänzt wird.
Als letztes Werk wird Erzählen, ein panoptisches Streichquartett (2018/19) von Gerhard Stäbler gespielt. Dies ist das zweite Streichquartett, das Stäbler komponiert hat. Das erste liegt nun 30 Jahre zurück und wurde in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf uraufgeführt, im Beisein von Luigi Nono.
Gerhard Stäblers Kompositionen haben oft besondere Überraschungsmomente. Schreie, Klatschen oder auch das Zersplittern einer Scheibe. In seinem Streichquartett gibt es auch einen solchen Moment, wenn die vier Musiker*innen während des Spielens heftig mit den Füßen trampeln.
Aber dieses Überraschungsmoment ist nur ein kleiner, wenn auch wichtiger, Aspekt des Werkes. Die Besonderheit der Komposition liegt in ihrer Struktur. Gerhard Stäbler sagt in seiner Einführung dazu:
„In einer fast zwei Jahre Entstehungsphase, die mich nach Chicago, Istanbul und nach Busan in Südkorea führte, entstanden 3 Sätze mit den Titeln:
AUSEINANDERGEZWUNGEN – ZUSAMMENGEZWUNGEN – SICH MITEINANDER REALISIEREN
Sie geben gleichzeitig auch die Art zu spielen an: Es gibt keine gesamte Partitur im Überblick, sondern jede/r Musiker*in hat ihre, seine Partitur, die nur in einer Aufführung gelingt, wenn alle miteinander realisiert werden. Auch für diese letzte Komposition wünschte ich mir, dass Sie Ihre Ohren noch einmal spitzen und verfolgen, wie sich die Musik zwischen den Musiker*innen „bewegt“.
Jede*r Musiker*in hat eine eigene Partitur, es kommt auf das Zuhören an, nur so können die vier Partituren zu einer Erzählung zusammenfinden. Hier ist eine Spielpraxis gefordert, die an die Improvisation und den Leadsheet im Jazz erinnern. Nur wenn es zu einer wirklichen Interaktion, zu wirklicher Beziehung kommt, gelingt das Werk d.h. entfaltet sich ein Erzählen.
Hier zeigt sich dann auch noch einmal die Meisterschaft des Minguet Quartetts, dem es gelingt die vier Teile der Komposition zu einem Ganzen zu fügen.
Das Konzert Erzählen hat achtsames Zuhören geschult, vielleicht sogar achtsames Wahrnehmen im Allgemeinen.
Berichte über vergangene Konzerte in Düsseldorfer Kunstmuseen:
https://nrwjazz.net/jazzreports/2018/On_The_Road_Performance_Konzert_in_der_Kunsthalle_Ddf/
https://nrwjazz.net/jazzreports/2016/performancekonzertmuziekbiennale/