Multiphonics Festival 2021
Eindrücke aus St.Peter und dem Domicil
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam
Das Multiphonics Festival rund um die Klarinette hat dieses Jahr einen neuen Programmbereich mit dem Titel A light reed. Der Veranstaltungsort ist die Kunststation St.Peter in Köln. Hier finden an drei Tagen Konzerte mit dem Schwerpunkt zeitgenössische Musik statt. Begleitet werden die drei Konzerte von Alba G. Corral, einer bildenden Künstlerin und kreativen Programmiererin aus Barcelona. Sie projiziert beeindruckende live Computer Zeichnungen als Videoinstallationen auf eine große Leinwand und auf Wände und Decke des Kirchenraumes von St.Peter.
Das Wiener Duo Petra Stump-Linshalm und Heinz-Peter Linshalm begeisterten das Publikum schon auf dem Festival 2017 im Stadtgarten. Damals spielten sie kurze Miniaturen, die Komponist*innen für sie geschrieben hatten. Auf dem Eröffnungskonzert 2021 spielen sie nun ein abendfüllendes Werk 1+1=1, für zwei Bassklarinetten, das der vielfach ausgezeichnete Komponist Pierluigi Billone 2006 für sie komponierte. Pierluigi Billone lies sich von Andrej Tarkovskijs Film Nostalghia inspirieren. „Ein Tropfen plus ein Tropfen ergibt einen größeren Tropfen, nicht zwei!” So erklärt Domenico in dem Film die Aufschrift 1+1=1 an seiner Hauswand. Mit seiner Komposition weist Billone auf ein tieferes Verständnis von Einheit hin. Wie zwei Tropfen verschmelzen auch die vielen Klangmöglichkeiten von zwei Bassklarinetten zu einem Gesamtklang. Petra Stump-Linshalm und Hans-Peter Linshalm stehen jeweils an den äußeren Bereichen des dunklen Bühnenraumes. Ihre Musik entfaltet sich langsam, der Anfang ist äußerst leise und fein, dann wird das Spiel mit der Zeit kräftiger. Neben den Klängen der Bassklarinetten werden auch Worte und Sätze gesprochenen, die ebenfalls erst fast unhörbar sind und im Verlaufe des Konzertes lauter werden und auch in laute Ausrufe übergehen. Die Musik lässt die Assoziation mit einer Stickerei aufkommen, die aus vielen Fäden, Farben und Bildern besteht. Manche sind sehr subtil und manche sind kräftiger, aber sie stehen gleichberechtigt nebeneinander und bilden ein einheitliches Bild oder einen gemeinsamen Klangraum. Das Konzert des Duos Stump-Linshalm ist eine musikalische Meditation. Der Kirchraum von St.Peter, der zu Stille und Einkehr einlädt, ist der ideale Raum für diese Musik.
Am folgenden Tag spielt das Trio Catch aus Hamburg. Drei junge Musikerinnen, die schon mit vielen Preisen ausgezeichnet wurden. Zuletzt wurde ihre CD As if mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Das Trio besteht aus Boglárka Pecze – Klarinette, Eva Boesch – Violoncello und Sun-Young Nam – Klavier.
Isabel Mundry – Sounds Archeologies, Daniele Terranova – Flowers endlessly open und Matthias Kranebitter – Whirl and Pendulum stehen auf dem Programm. Auch hier beginnt das erste Stück mit leisen Tönen, pianissimo, auf der Klarinette, auf den Saiten des präparierten Flügels und auf dem Resonanzkörper des Cello. Langsam wird das Konzert lebhafter und die Klarinette wird gegen die Bassklarinette getauscht. Eindrücklich ist auch ein Duett von Cello und Klavier. Im letzten Stück, das eine deutsche Erstaufführung ist, werden schnelle hohe Tonfolgen gespielt. Einige Passagen erinnern an Gezwitscher von Vögeln. Ein abwechslungsreicher zweiter Konzertabend, mit vielen poetischen und beeindruckenden Momenten.
Der dritte Abend der A light reed Reihe ist wieder für ein Duo reserviert: Gerdur Gunnarsdottir (Geige und Gesang) und Claudio Puntin (Klarinette und Bassklarinette). Ihr Programm trägt den Titel: Essence of the North. Ihre Stücke sind von der isländischen Volksmusik beeinflusst. Im ersten Stück spielt Claudio Puntin ostinate Figuren, fast perkussiv auf der Klarinette und Gerdur Gunnarsdottar spielt mit der Geige Melodien darüber. Im zweiten Stück werden die Rollen getauscht und die Geige übernimmt das Ostinato, während Claudio Puntin darüber seine Figuren spielt. Ein Instrument übernimmt eine Rolle, die dem Generakbass ähnlich ist, mit leichten Verschiebungen, wie in der Minimal music. Es klingt wie die rechte und linke Hand am Klavier. Diese Strukturen werden manchmal ein ganzes Stück durchgehalten, aber meist gebrochen und die Instrumente spielen dann zwei Stimmen.
Heraus kommt dabei wunderschöne melodische Musik, die an die atemberaubende Landschaft Islands erinnern lässt. Es wird ein mittelalterlicher Tanz gespielt und als Zugabe ein Choral. Ein Stück ist Arvo Pärt gewidmet, mit dem Gunnarsdottir und Puntin zusammengespielt haben.
Ein Konzertabend, der ein entrücktes Publikum hinterlässt, das erst langsam aus den Klang- und -Vorstellungswelten des Nordens in die Kölner Kirche zurückfinden muss.
Ein Lob an die Programmgestaltung. Drei wunderbare Konzerte mit unterschiedlichen Facetten zeitgenössischer Musik. Unterstrichen wurden diese musikalischen Perlen mit den Video Installationen von Alba Coral, die Farben und Formen im Gleichklang mit der Musik projizierte und so die Konzerte zu audio-visuellen Erlebnissen machte.
Der traditionelle Kernbereich des Multiphonis Festival ist Jazz, World und Crossover. Dieser Bereich hat im Alten Pfandhaus seinen Veranstaltungsort. Aber die Konzerte finden nicht nur in Köln statt, sondern auch in Düsseldorf, Wuppertal, Dormund und Meschede.
Der folgende Bericht ist über den Konzertabend im Dortmunder Domicil. Dort treten die Festivalband Multiphonics 8 plus Gina Schwarz, Kinan Azmeh & Florian Weber und
Yom & IXI String Qurtett auf. Letztes Jahr war die Wiener Bassistin Gina Schwarz Composer in Residence auf dem Festival. Da wegen der Pandemie, das Festival nur sehr verkleinert stattfinden konnte, wurden Ginas Kompositionen nur an einem Abend gespielt.
Dieses Jahr soll ihre Arbeit nun in verschiedenen Städten zu hören sein. Sie hat ihre Kompositionen noch erweitert und sich dabei von dem früh verstorbenen Singer-Songwriter Nick Drake inspirieren lassen.
Multiphonics 8 plus Gina Schwarz, das sind Gina Schwarz – Komposition, Arrangement und Kontrabass, Mona Matbou-Riahi, Steffen Schorn, Annette Maye , Thomas Savy – Klarinetten von B Klarinette bis Kontra Altklarinette, Lucas Leidinger – Klavier, Mahan Mirarab – Gitarre, Dirk-Peter Kölsch – Schlagzeug und Daniel Manrique-Smith – Flöten.
Ein Holzbläsersatz mit fast der ganzen Klarinettenfamilie, einen Flötisten und Rhythmusgruppe Bass, Schlagzeug und Klavier. Ein mächtiger Klangkörper mit lauter Solisten, den Gina Schwarz auf das Beste zum Einsatz bringt. Ihre Musik ist sehr Rhythmus betont, zwischendurch gibt es kleine Far out Passagen, die aber schnell wieder in den Rhythmus zum Mitwippen zurückkehren. Melancholische Parts gehören genauso zu den Kompositionen wie orientalisch anmutende Klänge. Aber sie bestimmen nicht die Stimmung. Das letzte Stück mutet sogar rockig an. Rhythm is it. Musik, die gute Laune macht, aber auch Tiefe hat und voller Lebendigkeit ist.
Nach der Fülle folgt kammermusikalischer Jazz mit arabischen Einflüssen. Kinan Azmeh, der aus Syrien Stammt und in New York lebt, an der Klarinette, im Duo mit Florian Weber am Klavier. Eigentlich wollten die beiden Musiker das Programm letztes Jahr schon den USA spielen. Aber einen Tag nach dem Florian Weber in den USA ankam, kam der Corona Lockdown. So spielen sie ihre Musik mit über einem Jahr Verspätung. Das hat der Musik natürlich keinen Abbruch getan. Das Duo Azmeh-Weber spielt eine sehr stimmungsvolle Musik mit Anklängen von Jazz, Klassik und arabischer Musik. Lyrische Passagen wechseln mit temperamentvollen Stellen ab. Großes Kino.
Als drittes Konzert des Abends spielt Yom, ein jüdischer Klarinettist aus Paris, der auch der Klezmer Szene kommt, sich aber mit seiner Musik weit darüber hinaus entwickelt hat. Er spielt mit dem Streichquartett IXI zusammen. Yom sieht aus wie ein Buddha, wenn er mit gekreuzten Beinen sitzt und einen kahl geschorenen Schädel hat. Aber sein Spiel ist alles andere als kontemplativ. Er spielt die Klarinette expressiv, aber natürlich setzt er auch ruhige lyrische Klänge ein. Die Streicher weben einen Soundteppich über den er spielt. Es klingt teilweise fast psychedelisch. Yom setzt viel Vibrato ein und seine Wurzeln in der jüdisch/arabischen Musik sind allgegenwärtig. Ein temperamentvolles Abschlusskonzert, das kurz vor Mitternacht im Dortmunder Domicil endet. Auch diese drei Konzerte waren sehr unterschiedlich und haben ebenfalls verschieden Bereiche der Musik dargeboten, in denen die Klarinette eine Rolle spielt.
Das sind Eindrücke von Konzerten des Multiphonics Festivals, die zeigen, dass es Annette Maye wieder gelungen ist Musiker*innen einzuladen, die herausragende Musik machen, die nicht jeden Tag zu hören ist. Das Multiphonics Festival hat seinen festen Platz in NRWs Festivalreigen längst erobert.
Morgen endet das Festival im Wuppertaler Skulturenpark, mit dem hochkarätig besetzten Ensemble Paul Heller & Julius Gawlik - The Next Level
Paul Heller
– Tenorsax
Julius Gawlik – Klarinette, Tenorsax
Rainer Böhm – Klavier
Martin Gjakonovski
– Kontrabass
Bodek Janke – Schlagzeug