Mountain Jazz
31. Südtirol Jazzfestival Alto Adige 2013
TEXT: Bernd Zimmermann | FOTO: Bernd Zimmermann
Bozen, Meran, Bruneck, Klausen, Sella- und Vigiljoch, Brixen, Sterzing. Burgen, Berge, Hütten. Plätze und Museen. Die Veranstaltungsorte sind so vielfältig wie die Musik die auf dem 31. Südtirol Jazzfestival Alto Adige präsentiert wurde.
Vorbei am Müll vom Mount Everest ging es über zahlreiche Stufen in den Innenhof des Messner Mountain Museums auf Schloss Sigmundskron oberhalb von Bozen. Im mittelalterlichen Ambiente brachialer, alle Regeln brechender, Terror-Bebop von Mostly Other People Do The Killing. Es sind die Gegensätze die dieses Festival ausmacht, die zum Teil vom Massen-Tourismus zugeschütteten Orte dieses wundervollen Fleckchens Erde neu zum Klingen bringen. Provozierend die Blickwinkel des Betrachters und Zuhörers verändern.
Mit spielerischer Leichtigkeit erfüllte diesen Spagat das 15-köpfige Fischermanns Orchestra aus der Schweiz, das sowohl beim Eröffnungskonzert auf Schloss Sigmundskron, als auch mit verschiedenen kleinen Formationen auf unterschiedlichen Berghütten aufspielte. Hierzu ging es in Lana mit Seilbahn und Sessellift durch sauerstoffgetränkte Luft auf das Vigiljoch. Meditative Stille. Auf den Hütten moderner Street-Jazz bei Wein und regionalen Spezialitäten. In der Ferne findet der Blick den Rosengarten. Ein Sinnenschmaus, der für den gerade angereisten Festivalbesucher noch kaum zu erfassen ist.
Am gleichen Tag fährt ein Shuttlebus von Bozen über die Brennerautobahn nach Sterzing. Die Berge leuchten in der Abendsonne. Dann noch so ein Gegensatz. Richard Galliano, solo, in einer Produktionshalle für Pistenraupen. HighTech trifft auf Emotion pur. Der Meister des Akkordeons, in bester Spiellaune, fasziniert mit seinem filigranen Spiel sein Publikum auch in dieser ungewöhnlichen Kulisse.
Ein Hauptveranstaltungsort war in diesem Jahr das Museion - das Museum für moderne und zeitgenössische Kunst. Durch die Altstadt ging es zu einem futuristischen Bau. Die Glasfassade auf der anderen Seite gab den Blick auf die Bozener Berge frei. In der Passage des Museums viel Neues. Jazz, modern und zeitgenössisch. Kein Festival-Einheitsbrei. Naked Wolf, Irène, Harris Eisenstadt`s September Trio, Francesco Guerri hießen die Formationen. Sie kamen aus Frankreich, den Niederlanden, Brasilien, Italien, Finnland und Australien. Leidenschaftlich-exzessiv wie auch kontemplativ und introvertiert präsentierten sich die hierzulande wenig bekannten Musiker. Dabei auch Klima Kalima aus Berlin mit seinem ganz eigenen kreativen finnischen Fusionjazz. Filme von Matti Kassila, Aki Kaurismäki und Mikko Niskanen waren Inspirationsquellen für die Musik. Im Anschluss an das Konzert im Garten des Bozener Filmclubs wurde dann der Film L´uomo senza passato (Der Mann ohne Vergangenheit) von Aki Kaurismäki gezeigt. Noch so eine spannende Verbindung.
Das Südtirol Jazzfestival kann aber auch leise, schillernd, flirrend und gefühlvoll sein. Zum Beispiel wenn Vincent Peirani, Michael Wollny und Michel Benita im Bozener Nobelhotel Laurin aufspielen. Im wunderschönen Hotelpark wurde eigens für dieses Konzert eine Bühne über den Swimmingpool gebaut. Filigrane Klänge durchfluteten den lauen Sommerabend. Atemberaubende Interaktion zwischen Wollny und Peirani. Auch die nagelneue Formation des luxemburgischen Vibraphonisten Pascal Schumacher "Blind Date" mit Sylvian Rifflet (Sax), Verneri Pohjola (Tr) und Henning Siefert (b), die im Bozener Semirurali Park erst ihr zweites Konzert absolvierten harmonierten genial. Gesucht, gefunden. Eine faszinierende Symbiose aus Spielort und Musik.
Munter ging es auf den Plätzen Südtirols im Laufe des Jazzfestivals zu. "Les Faux Frères" aus Frankreich, "Hildegard lernt fliegen" (Schweiz), "Bartmes" (D) oder "Roberto Gatto`s PerfecTrio" (Italien) verblüfften Südtiroler und Urlaubsgäste gleichermaßen mit lebhaftem, teils witzigem und groovigem Jazz und warben so für den Jazz und das Festival. Denn das ist beim Südtirol Festival ebenfalls Tradition. Konzerte auf öffentlichen Plätzen sind kostenlos. Herausragend hier "Hildegard lernt fliegen". Mit ihrem charismatischen Sänger und Frontmann Andreas Schaerrer trat die Schweizer Ausnahmeformation gleich an drei Tagen in Bozen, Brixen und Schlanders auf. Halsbrecherische Improvisationen und ein Jazz voller Lebendigkeit und Humor.
Zu den vielen Höhepunkten gehören die Konzerte auf Berghütten und Almen. In diesem Jahr z.B. "Yuri Honing Wired Paradise" auf der Feltuner Hütte bei Ritten mit einem der schönsten Panoramablicke Südtirols oder Jeff Ballard "Fairgrounds" mit Lionel Loueke und Reid Andersen auf der Emilio Comici Hütte am Langkofel. Noch nie haben diese drei Musiker zusammen gespielt. Und zur Premiere ging es dann gleich auf 2200 Meter ü.d.M. und einer Kulisse die einem den Atem raubte. Über 500 Leute hatten den Aufstieg zur Hütte, die nur zu Fuß zu erreichen ist, angetreten. Während die Musiker auf die 1000 Meter hohe Wand des Langkofels blickten, schaute das Publikum auf das gegenüber liegende Sellamassiv. Bei herrlichstem Sonnenschein erlebten die Zuhörer, wie sich drei Musiker der Extraklasse auf die Suche nach dem musikalischen Miteinander machten, experimentierten, improvisierten, sich fanden und dann die entstandene Harmonie und besondere Atmosphäre des Ortes sichtlich auskosteten. Gänsehaut.
Ein wenig am Rande des Jazzgeschehens, in einer der Oasen Bozen's, konnte man im bereits erwähnten Hotelpark jeden Abend eine kleine Formation erleben. Filippa Gojo , Wahl-Kölnerin, und Sebastian Scobel spielten während der gesamten Festivalzeit hier quasi als Apéritif für die dann folgenden abendlichen Konzerte. Abhängen und Auftanken mitten in der Stadt bei feinstem Vocaljazz.
Doch auch bei diesem Festival klappt nicht alles. Die beiden Projekte von Matthias Schriefl zum Beispiel. Schriefl in diesem Jahr so eine Art Artist in Residence. Trotz eines dreitägigen Workshops mit der Musikkapelle Schabs kam bei dem anschließenden Konzert auf derFranzensfeste leider nicht viel mehr heraus als traditionelle Blasmusik mit ein paar, z.T. witzigen Jazzeinlagen. Der Ausflug der Lokalmatadoren aus dem Eisacktal in den Jazz blieb im Versuchsstadium stecken. Zu schwer lasteten wohl die Jahrhunderte alten Traditionen. Auch der Dreier von Matthias Schriefl, Kalle Kalima und Jim Black enttäuschte. Ein herausragender Jim Black, ein, bei diesem Konzert zu schüchterner Kalle Kalima und ein mit wenig Kreativität agierender Matthias Schriefl erreichten gemeinsam nicht das, was man bei dieser Konstellation erwarten durfte. Ebenso das von Angelika Niescier angeführte Quintet "The Shift". Trotz hochkarätiger Besetzung (Jim Black (dr), Florian Weber (p), Gianluca Petrella (tb) und Chris Tordini (b)) konnte das Zusammenspiel nicht überzeugen. Recht sperrig und akademisch kam die Musik dieses Festivals-Projekts daher und wollte so gar nicht in dieses bunte, fließende Festival passen.
Dies tat diesem, in der europäischen Festivallandschaft einzigartigen Jazzfestival jedoch keinen Abbruch. Es ist lebendig, anregend und kreativ. Klaus Widmann, der künstlerische Leiter, ist immer auf der Suche nach neuen, spannenden Spielorten und entwickelt immer neue Formate und Netzwerke. Ob "Jazz, Dine and Wine", "Jazz und zeitgenössische Kunst" oder "Jazz, Berge und Burgen". Jedes Jahr gibt es aufs Neue interessante Plätze zu entdecken. Es ist unverkennbar, dass hier auf die Dramaturgie, sowohl der einzelnen Konzerte, wie auch des gesamten Festivals geachtet wird. Ob bewusst inszenierte Gegensätze oder fließende Harmonien, immer geht es aber um das Zusammenspiel von Ort und Kunst.
Obwohl dieses herausragende internationale Jazzfestival in den fünf Jahren unter der Führung von Klaus Widmann längst sein eigenes Profil gefunden hat, will Widmann mehr. Er wünscht sich noch mehr internationale Gäste und noch mehr Aufmerksamkeit im eigenen Land. Denn er denkt auch wirtschaftlich und politisch. Der Massentourismus in Südtirol ist rückläufig, sodass dieses herrliche Land mehr und mehr wieder zum Vorschein kommt. Für die Zukunft gilt es, einen anderen Tourismus zu entwickeln. Einen, der die kulturelle Vielfalt und das ungeheure kulturelle Angebot dieses Landes auf der Südseite der Alpen mehr wahrnimmt. Und da soll, so Widmann's Wunsch, das Südtirol Jazzfestival Alto Adige eine herausragende Stellung einnehmen. Und auch hier ist dieses Festival auf einem guten Weg. Gäste werden ausgezeichnet betreut. Shuttlebusse stehen für Fahrten zu entfernten, teils schwer zugänglichen Spielorten bereit und die Festivalorganisation hilft bei der Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten. Für die Zukunft ist geplant, entsprechende Reisepakete zu schnüren. Erste Netzwerke werden hier bereits geknüpft.
Die nächste, 32. Ausgabe des Südtirol Jazzfestival beginnt am Freitag, 27. Juni, und endet am Sonntag, 6. Juli 2014.
Jede Menge Konzertvideos findet man hier...