Moers Festival 2018
Peter Brötzmann eröffnet im Schlosshof
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam/Heinrich Brinkmöller-Becker
Pfingsten, das bedeutet seit 47 Jahren Festival in Moers. Im Laufe der Jahre mit unterschiedlichen Namen ist das Festival in Moers doch weltweit ein Markenzeichen für aktuelle kreative Musik, von Jazz über Avantgarde zu World. Tim Isfort , dem künstlerischen Leiter, ist es mit dem diesjährigen Programm gelungen, sowohl an die Tradition anzuknüpfen, als auch junge innovative Musiker*innen einzubinden. Der Saxophonist Peter Brötzmann, ein Initiator des Festivals, spielte zur Eröffnung ein Solokonzert im Schlosshof, dem Ort wo 1972 alles begann. Mit schier unerschöpflicher Energie spielte der nun 77-jährige Free-Jazzer endlose Soli, die immer wieder so klangen, als wolle er seine Wut herausschreien. Lyrische Passagen, wie im Duo mit Heather Leigh an der Pedal Steel Gitarre, waren eher die Ausnahme. Peter Brötzmann hatte auch einen Auftritt mit der Noise-Avantgardeband Oxbow aus San Fancisco, in die er hervorragend hineinpasste.
Aber neben dem Altmeister gab es vor allem großartige jüngere Musiker*innen in Moers. Herausragende Talente waren die französische Pianistin DOMI und der Multiinstrumentalist Bobby Hall aus Brooklyn, der beim Konzert an Schlagzeug und Orgel spielte. Beide sind erst 17 Jahre alt. DOMI spielte auch auf dem Piano mobil in der Moerser Innenstadt. Eine angehende Weltklasse-Pianistin, die auf der Ladefläche eines keinen Wagens spielt, das bekommt Moers nicht alle Tage geboten.
Aus dem Nachbarland Österreich kamen weitere junge Ausnahmetalente. Das Trio Dsilton aus Wien. Die Band schaffte ein eigenes mikrotonales Klanguniversum. Georg Vogel wechselte zwischen einem umgestimmten Piano, einem Syntheziser und einem eigens entwickelten 31-Ton-Synthesizer hin und her. David Doring spielt dazu auf einer 31-Ton-Gitarre und Valentin Duit ist der Schlagzeuger der Band. Das Trio wechselte mit einer Leichtigkeit, von Musik, die sich aus österreichischer Volksmusik speiste, zu jazzrockigen Passagen. Dsilton sind sicher eine der Entdeckungen des Festivals.
Seit elf Jahren gibt es die Improviser-Konzerte. Die diesjährige "Improviser in residence" ist Josephine Bode, die Blockflöte spielt. Zusammen mit Flötistin Dodo Kis und dem Pianisten Ethan Iverson (Ex Bad Plus), sorgten die drei Musiker*innen für ein Highlight des Festivals. Josephine Bode spielte virtuos die verschiedensten Instrumente der Blockflötenfamilie und mit der großartigen Dodo Kis an ihrer Seite entfaltete sich ein ungeahnter Flötenklangraum, begleitet vom Klavier des Weltklasse-Pianisten Ethan Iverson. Ein Konzert, das nicht laut und wuchtig daherkam, aber voller Energie und Tiefgang war.
Ein andere kleine Formation, die ein großartiges Konzert spielte, waren die Bass Brothers, Henning Sievers an Bass und Cello und Francois Thullier an der Tuba. Die beiden Musiker zeigten, welche Möglichkeiten es im Spiel der Tieftöner gibt und kamen dabei ohne erweiterte Techniken aus. Francois Thuillier spielte in einigen Stücken seine Tuba mit ungemeiner Feinheit, dann wieder setzte er sein Instrument wie eine Singstimme ein und ein anderes Mal wie ein Rhythmusinstrument. Henning Sievert an Bass oder Cello zeigte an seinen Instrumenten von lyrischen Streicherpassagen bis zum zupackend gezupften Bass eine spannende Vielfalt. Ein Konzert, das zum genauen Zuhören zwang und den Zuhörer*innen dafür reiche Belohnung gab.
Natürlich gab es nicht nur kleine Formationen, auch die Big Bands hatten ihren Platz. Die WDR Big Band spielte mit Peter Erskine; Schlagzeug, Damian Erkine, Bass und Marcio Doctor, Percussion, als Gäste unter Leitung von Vince Mendoza. Über eine Big Band von solchem Format muss nicht viel gesagt werden, sie ist einfach eine Klasse für sich.
Eine Big Band der anderen Art präsentierte der New Yorker Avantgarde Trompeter Nate Wooley. Seine 17 köpfigen Band Seven Storey Mountain brachte die Festival Halle zum Zittern. Der Bläsersatz eröffnete das Konzert, dann kamen die beiden Schlagzeuger und die Vibraphone ins Spiel, es folgten die Geigen und die Gitarre und dann die Trompete von Nate Wooley, der ganz vorn saß. Wooley steckte das Mikro tief in den Schalltricher seiner Trompete und erzeugte langgezogene Töne, mit elektronischer Bearbeitung. Alles steigerte sich zu einem wilden Sturmwind der lange Zeit anhielt, abebbte und zum Schluss spielten nur noch die beiden Vibraphonisten einzelne Töne.
Eine weitere große Formation war Sebastian Gramss` States of Play, ein Nonett, das zwei Rhythmusgruppen und einen Bläsersatz zusammenbringt. Auch mit dieser Band bewies Bassist Sebastian Gramms wieder welch herausragender Arrangeur und Komponist er ist. Er schaffte eine geniale Balance aus arrangiertem und freiem Spiel, eine Synthese aus Zappa und Mingus. Ganz großes Kino, eines der besten Konzerte des Festivals.
Gramss spielte auch mit seinem Trio Fossile 3+1, mit Rudi Mahall an der Bassklarinette und Etienne Nillesen am Schlagzeug, plus Gastmusiker Philip Zoubek am Piano auf der Bühne im Festivaldorf. Fossile widmet sich ganz der klassischen Jazztradition und gibt ihr einen neuen Rahmen.
Zu den internationalen Stars des Festivals zählte das Quartett des New Yorker Trompeters Ralph Alessi mit Saxophonist Ravi Coletrane. Er ist so etwas wie der Gegenpol zu Peter Brötzmann. Alessis Herangehensweise an den zeitgenössischen Postbop ist eher entspannt und gelassen. Im Konzert wurde deutlich, dass seine Musik deshalb nicht weniger energetisch ist, sich aber nicht unbedingt in wilden Ausbrüchen gefällt.
Neben der oben genannten Band Oxbow gab es noch weitere Alternative/Avantgarde Bands aus den USA. Die Horse Lords aus Baltimore spielten eine spannende ganz eigenwillige Musik. Eine psychedelische Variante von mikrotonaler Minimal Music mit endlosen Wiederholungen brachten sie das Publikum in Moers in hypnotische Trance. Ganz anders dagegen die Musik von Murder Murder aus Kanada, die sich dem Bluegrass und dem alternativen Country verschrieben haben und mit Banjo und Fidel die Besucher im Festivaldorf mit Outlaw Balladen begeisterten.
An die politische Widerständigkeit der Jazztradion küpfte die afro-amerikanische Poetin und Aktivistin Camae Ayewa aka Moor Mother mit ihren Gedichten über Black Identity, Frauenrechte und Polizeigewalt an. Ihre Spoken Words Performance ist Teil der Band Irreversible Entanglements, die mit ungestümer Energie die wütenden Proklamationen begleiten. Ohne die charismatische Camae Ayewa hatte die Band auch einen viel beachteten Auftritt auf der Dorfbühne.
Das Festivaldorf, das von über 35 000 Besuchern aufgesucht wurde, war ein wichtiger Teil des Festivals. Nicht nur die Bühne mit ihren Konzerten, auch die vielen Stände, zum Essen und Non-Food, trafen auf reges Interesse. Der Liedermacher Helmut Meier sorgte mit seinen Mitmachliedern dafür, dass auch die Kleinsten Spaß hatten.
Eine große Gruppe von Trommlern, die am Rande des Dorfs spielten, ließen den alten Geist von Moers wieder aufleben. Die Bühne Retro 77 im Schlosspark sollte ebenfalls die alten Moers Traditionen wiederbeleben. Das Publikum lagerte, wie in alten Zeiten auf der Wiese. Das Konzert der brasilianischen Band Quartabè, die eine spannende Mischung aus Jazz, brasilianischer Musik und Elektronik spielten fand auf dieser Bühne statt. Mit zwei Klarinetten, Schlagzeug und Keyboard zauberten Quartabè brasilianische Stimmung in den Schlosspark.
Es gäbe sicher noch vieles zu erwähnen: Jan Klares Moers Sessions und das hervorragendes Konzert mit seiner Band 2000, den Gig von Gropper, Graupe und Lillinger auf der Parkbühne, ebenso wie der der kongolesischen Musiker von Madimba Delux, die indischen Musiker Sourendro, Soumyoit und Biswajit und nicht zu vergessen die anarchistischen Irrwische von ZA! aus Barcelona, mit ihrer Wahnsinns Performance. Es gab über 130 Konzerte, in der Halle, im Park und in der Stadt. Sehr erfreulich ist auch der große Anteil an Musiker*innen aus NRW.
Auch wenn vieles unerwähnt bleibt oder nur kurz angerissen wurde, so wird sicherlich eines deutlich: Moers ist wieder im Aufwind. Das “Wunder von Moers“ (taz) geht weiter – auch 2019 wird es ein Festival unter Leitung von Tim Isfort geben. Pfingsten und Moers gehören weiter zusammen.
Wer das Festival verpasst hat, kann die Konzerte auf arte anschauen.
Dank der erneuten Kooperation mit arte und WDR Fernsehen waren alle Konzerte im Live-Stream zu sehen. Die Konzerte sind bei www.arte.tv sechs Monate on demand verfügbar. Auch das Kulturradio WDR3 übertrug live vom moers festival und zeichnete zudem weitere Konzerte für spätere Ausstrahlungen auf.