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Mit ein wenig Wehmut

"Punkt"-Festival Kristiansand 2011

Kristiansand, 05.09.2011
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Christoph Giese

Sieben Jahre hat es gedauert, aber jetzt war es soweit. Das „Punkt“ Festival meldete schon im Vorfeld: ausverkauft! Eine Bestätigung dafür, was die beiden Festivalmacher Jan Bang und Erik Honoré in ihrer Heimatstadt inzwischen auf die Beine gestellt haben. Da kommt der Umzug vom Agder Theater in das fast fertig gestellte „Kilden“ gerade recht. In dem multifunktionalen Performing Arts Centre, einem der wohl schönsten europäischen Musentempel, direkt am Wasser gelegen, mit vier Spielstätten von intim bis zum Theater- und Opernhaus mit 700 Sitzplätzen und dem großen Konzertsaal mit knapp 1.200 Sitzen, wird „Punkt“ ab dem nächsten Jahr seine neue Heimat haben. Im Januar 2012 wird das Haus, das Oper, Philharmonie und Theater unter einer Regie führt, eröffnet, im kommenden September ist „Kilden“ schon für „Punkt“ gebucht.

Zurück zur Gegenwart. Nicht alle Künstler in diesem Jahr verstanden das Prinzip des Festivals, dessen Konzerte im Theatersaal nämlich nach Beendigung anschließend im kleinen, engen Alfa Room im Theaterkeller live remixt werden. Das Quartett "Dans les Arbres", bestehend aus drei Norwegern und dem französischen Klarinettisten Xavier Charles, spielte nicht nur einen zu langen und langatmigen Gig, sondern auch ohne jeglichen Bezug zum Auftritt des Quartetts John Tilbury, Evan Parker, John Russell und Okkyung Lee, den sie eigentlich remixen sollten. Vielleicht gefiel ihnen ja auch nicht, was im großen Saal des Agder Theaters zuvor lief. Denn John Tilbury und Co. improvisierten munter vor sich hin, ohne dass es aber beim Zuhören richtig packte. Auch der Norweger Helge Sten und Ex-Led Zeppelin-Bassist John Paul Jones hinterließen einen zwiespältigen Eindruck. Man liebte oder man hasste das, was sie unter dem Namen „Minibus Pimps“ servierten. Unter Verwendung der Computermusiksprache „Kyma“ entstanden aus Elektronik, Samplern, Prozessoren, IPads und Instrumenten äußerst abstrakte, noisige Soundwellen. Was man aus so einem Auftritt dann aber Wunderbares kreieren kann, bewiesen Jan Bang, Erik Honoré, Eivind Aarset, Nils Petter Molvær und Marilyn Mazur im anschließenden Remix, der kurz und prägnant war, aber einen herrlichen, klanglichen Bogen schlug – mit ätherischen Sounds und auf den Punkt getrommelten Beats von Marilyn Mazur.

Kurator des ersten Abends im Theater war übrigens David Sylvian. Der Brite hatte im Kunstmuseum von Kristiansand parallel seine audiovisuelle Installation „Uncommon Deities“, mit Visuals des Japaners Atsushi Fukui, eröffnet, in der Künstler wie Evan Parker, Arve Henriksen, Sidsel Endresen, Stian Westerhus oder die norwegischen Poeten Paal-Helge Haugen und Nils Christian Moe-Repstad performten. David Sylvian führte im Theatersaal dann erstmals sein 1988 zusammen mit Holger Czukay aufgenommenes Album „Plight & Premonition“live auf. Im Halbrund saßen er, Pianist John Tilbury, der Vinylplattenbearbeiter Philip Jeck, Live-Sampler Jan Bang, Technikexperte Erik Honoré und Gitarrist Eivind Aarset und kreierten eine ruhige, dunkle Ambient-Reise voller kleinster Details. Ein jeder nahm sich dabei zurück, kein Ton erklang zuviel. Mancher mochte das auf die Dauer eintönig nennen, aber das war feinstes musikalisches Seelenfutter. Nicht minder berührend: die Aufführung von Arve Henriksens Album „Cartography“ von 2009, seinem Debüt als Leader fürs Münchner ECM-Label. Mit einem Allstar-Line-Up auf der wie immer bei „Punkt“dunkel-atmosphärisch, minimalistisch ausgeleuchteten Bühne. Neben Eivind Aarset, Ingar Zach, Jan Bang und Erik Honoré lieferten auch die schwedische Sängerin Anna Maria Friman und wiederum David Sylvian als Textrezitator kleine Zutaten zu Arve Henriksens ganz eigenen Soundkosmos, mit seinen fast visuell spürbaren, schwebenden Klangbildern, die perfekt als Score für einen Film im eigenen Kopf dienen.

Licht und Schatten wechselten sich beim Festival ab – mit deutlicher Tendenz zur Helligkeit! Susanne Sundfør etwa nahm bei ihrem Soloauftritt den Zuhörer mit auf eine gewollt gleich klingende, emotionale Reise mit ihren melodramatischen Balladen aus glockenheller Stimme und Keyboards. Der Brite Guy Sigsworth, der einst in Björks Band spielte und für Madonna oder Britney Spears produziert hat, entfernte sich in seiner Bearbeitung von Sundførs Konzert mit Gaststar Nils Petter Molvær an der Trompete deutlich von den häufig mit Klang- und Soundflächen arbeitenden Remixen und servierte einen peppig rhythmischen Set, der sowohl Pop-Bombast als auch knalligen Drum&Bass einschloss und sogar ein kleines Justin Bieber-Zitat. Brillant und mit viel Augenzwinkern vorgetragen. Und wie man aus einem zerrissen wirkenden Avantgarde-Streichkonzert etwas Großartiges machen kann, zeigten Jan Bang und Erik Honoré zusammen mit Sängerin, nein Stimmkünstlerin Sidsel Endresen, die rund um ein paar Streicher-Samples einen fantasievollen Remix voller Stimmungen und atemberaubender Stimmimprovisationen gestalteten.

Ein wenig Wehmut kam bei Jan Bang am Ende des Festivals schon auf. Denn das Agder Theater hat seinen eigenen Charme und war eine tolle Spielstätte für sein Festival. Doch der Blick geht nun nach vorne. Brian Eno ist als Kurator für das nächste Jahr schon fest im Blick.

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