Mikrokosmos der Natur
Meat.Karaoke.Quality.Time im Planetarium
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper, Heinrich Brinkmöller-Becker
In Bochum befindet sich eines der weltweit leistungsfähigsten Planetarien. Hier finden regelmäßig synästhetische Experimente in den Grenzbereichen von Musik, Fotografie und Bildender Kunst statt. Zu Heinrich Brinkmöller Beckers Foto-Animation „Nichts als Bäume“ improvisierte das Trio MEAT.KARAOKE.QUALITY.TIME.
Das Zeiss-Planetarium in Bochum, eröffnet im Jahr 1964 leistet viel mehr, als "nur" die Erkundung des Universums, (wozu an diesem Ort allerdings auch die Astronautentrainings der ESA gehören.) Mit seiner riesengroßen Kuppel als Projektionsfläche und der aufwändigen Projektionstechnik verfügt dieser Raum über ein im besten Sinne unendliches Potenzial - ebenso sind Akustik und Soundanlage hervorragend. Die Betreiber dieses einmaligen, in den 1970er Jahren errichteten Raumes haben längst den immensen Mehrwert für die kulturelle Nutzung erkannt - was selbstverständlich auch kreative “Randbereiche” beinhaltet. Sehr speziell ist die Fotokunst von Heinrich Brinkmöller-Becker, dessen neues Musik- und Fotoprojekt "Nichts als Bäume" im Bochumer Planetarium inszeniert wurde.
Der Abend soll eine weitere Premiere sein: Zum ersten Mal improvisieren Musiker aus NRWs Jazzszene live zu den bildgewaltigen Vorführungen in der großen Kuppel, als da wäre das Trio mit dem eigenwilligen Namen MEAT.KARAOKE.QUALITY.TIME. bestehend aus den Saxofonisten Jan Klare und Florian Walter sowie dem Schlagzeuger K.F. Degenhardt. Also jetzt zurücklehnen in den komfortablen Sesseln, die sich wie im Flieger zurück klappen lassen, damit der Blick in endlose Weiten schweift! In diesem Fall in die Weiten der Natur, vor allem in deren endlose Verästelungen von Mikrostrukturen. Vergiss alles, was Du dir bislang unter Naturfotografie vorgestellt hast - oder was die übliche Rolle von zwei Blasinstrumenten und einem Schlagzeuger angeht! Heinrich Brinkmöller-Beckers Fotos lenken den Blick auf das abstrakte strukturelle frei, was neue Erkenntnisse über das „Gesamtkunstwerk Baum“ liefert: Nahaufnahmen inszenieren Mikrostrukturen von Baumrinde, offenbaren kapillare Netzwerke, wie sie die Natur hervorbringt, lenken den Blick auf bizarre Oberflächen, aus denen sogar ganz ohne Hinzuziehung bewusstseinserweiternder Substanzen Gestalten, manchmal Gesichter, ja , tatsächlich auch viel Geisterhaftes herauslesbar ist. Zur Choreografie verdichtet sich all dies, da die live improvisierte Musik von MEAT.KARAOKE.QUALITY.TIME so bezwingend darauf passt. So wie die Bilder in riesigen, räumlichen Projektionen und raffinierten Bewegungsmustern zusammen fließen, so setzt das Spiel des Trios einen ambienten, halluzinatorischen Trip frei. Dies aber nicht grellbunt, sondern in dunklen Klangfarben, passend zur nüchternen Schwarzweißästhetik.
Das durchgehend improvisierte Set dieses Trios entfaltet aber viel dezidiertere Rhetorik, um sich über jede Ambient-Klangtapete zu emanzipieren. Denn K.F. Degenhardt, Jan Klare und Florian Walter vereinen die Möglichkeiten elektronischer Klangsynthese mit der Haptik und den modulatorischen Möglichkeiten von live gespielten Blasinstrumenten. Möglich wird dies durch elektronische Drumpads und mehr noch durch jene “Electronic Wind Instruments”, welche unmittelbar in einen Moogsyntheziser hineinspielen. Überhaupt spannend hier, wie solche "Modeinstrumente" aus den frühen 1990er Jahren für ganz andere, zeitlose Abenteuer taugen. So manche dunkle Synthesizerfläche erinnert dannn auch mal an futuristische Krautrock-Visionen aus den frühen 1970ern und es vereint sich die Schwärze von Industrial-Ästhetik mit den wuchernden visuellen Strukturen in diesem geisterhaften, nur aus abstrakten Strukturen und Grauwerten bestehenden Baum-Labyrinth, dass so manchem vielleicht mal furchterregende Assoziationen wie im Kult-Horrorfilm „Blairwitch Project“ kommen mögen. Aber das hier sind Live-Musiker, die in Echtzeit ihre Instrumente spielen - und daher noch viel mehr können. Die ihre spielerisch-artikulierten Ströme genauso unvorhersehbar wuchern und sich verästeln lassen wie die endlosen, wilden, unbezähmbaren, sich jedem menschlichen Ordnungsstreben entwindenden Strukturen in der Natur.
Der technische Background hinter dieser Bild-Inszenierung ist imponierend: Heinrich Brinkmöller-Becker hat das gesamte Bildmaterial, welches oft im 360 Panorama die ganze Kuppel flutet, der Steuerungssoftware für die elf Zeiss-LED-Beamer des Planetariums einverleibt.
Vorschau
Einem ganz anderen Sujet widmet sich am 26. 10. das Projekt Art Space, ebenfalls im Planetarium Bochum. Diesmal wird Instrumentenbaukunst am Beispiel des größten Musikinstruments, das es gibt, sichtbar gemacht: Im aktuellen „Jahr der Orgel“ porträtiert eine künstlerische Foto-Doku den Herstellungsprozess von Orgeln. Diesen hat Heinrich Brinkmöller-Becker bei der renommierten international tätigen Orgelfabrik Klais in Bonn fotodokumentarisch begleitet. In der animierten Projektion kann man die aufwändigen Schritte des Orgelbaus nachvollziehen. Aus dem Gießen und Pfeifenbau, dem Bau der Windladen sowie der Wellenbretter und der Konstruktion des großen Spieltischs entsteht die „Königin der Instrumente“. Die große Konzertorgel im Auditorium Maximum der Ruhr-Universität Bochum ist ein klanggewaltiges und prächtiges Beispiel der Bonner Orgelbaukunst - gleich hier in der Nähe…
In Kooperation mit den 41. Bochumer Orgeltagen
Dauer: ca. 60 Minuten
Dienstag, 26.10.2021, 20.00 Uhr
Planetarium Bochum
Castroper Str. 67
44791 Bochum