Mehr als nur hübsch
Dhafer Youssef und die HR Bigband in Essen
TEXT: Peter E. Rytz | FOTO: Sven Thielmann
Ganz hübsch, wie die hr-Bigband spielt. Hübsch? Oder wie sagt man in Deutsch?, kokettiert Dhafer Youssef launig mit dem Publikum in der Philharmonie Essen. Den Zuruf - Wunderbar! - wischt er lachend weg. Das ist doch langweilig.
Youssefs elektronisch aufgerüstete Oud, sein mit arabischem Esprit folkloristisch gestimmter Gesang grundiert zusammen mit dem empathischen, Sound affinen, originären Pianisten Daniel Garcia eine biegsame Duo-Architektur. Auf ihr basierend, klangmalen Youssef und Garcia mit der hr-Bigband einen süffig satten Breitwand-Sound. Man mag es World-Jazz nennen oder eine Melange aus Jazz und arabischer Musik. Das, was unter der musikalischen Leitung von Magnus Lindgren zu hören ist, ist ein exotisch fabulierendes, gleichwohl solistisch herausforderndes Konzerterlebnis der besonderen Art.
Daniel Gracia kann mich zu den Göttern bringen – und Magnus trägt mich mit der hr-Bigband noch darüber hinaus. Dem Klangkosmos des Dhafer Youssef ist eine Dialogkultur eigen, die keine Mitte zu kennen scheint. Alles brennt von allen Seiten gleichzeitig. Ob im poetisch gestimmten Duo-Ping-Pong-Dialog mit Garcia oder in den Soli exzellenter Blech- und Holzbläser der Bigband, und auch in denen von Lindbergs formidablen Flöten- und Saxophon-Expressionen neben seiner eher minimalistisch akzentuierten Bigband-Leitung - in allem schwingt ein Zauber aus tausend und einer Nacht mit. Selbst in orchestralen Fortissimo-Ausflügen mischen sich Gemütslagen von Freude und Schwermut, von Nachdenklichkeit und Jubel. Aufstiege einem Höhenleiter-Balanceakt gleich, deren orchestriert geplante Abstürze von Lindgrens Netz-Souveränität aus spannungsvoller Tiefe in ebensolche Höhen getragen werden.
Musikantisch exorbitant und kongenial
Das Konzert kontrastiert mit einer, häufig von der musikantisch exorbitanten, kongenialen Partnerschaft von Oud- und Pianospiel ausgehenden Sound-Multiplikation ins Orchester. Das Duo erweitert sich mit Schlagzeug und Bass zu einem Quartett-Basement, das sich mit Saxophon, insbesondere mit dem sonoren Klang des Bariton-Saxophons, sowie der Bass-Klarinette, Trompete und Posaune zu einem rauschenden Sound-Abenteuer aufbaut. Vom sanft lyrischen Flügelhorn- wie auch vom brachial enervierenden Tenorsaxophon- oder von kunstfertigen Gitarren-Soli Jimi-Hendrix-like gesetzte Zäsuren - Lindgren öffnet im augenzwinkernden Einverständnis mit Youssef alle Schleusen eines Klangrauschens.
Youssef vokale Facetten, unterstützt von einem überzeugenden Sound-Design mit einem over-tuned verschränkten Nachhall, setzen Halte- und Orientierungspunkte, die mit schelmischen Understatement eine Lunte in die Bigband werfen. Glitzernd leuchtende Kaskaden voll sanftmütigem Überschuss.
Das aktuelle hr-Bigband-Projekt durchwandert mit Dhafer Youssef eine Straße voller Minarette, wie er sein kürzlich veröffentlichtes Album beschreibt. Betrachtet aus einem jazzorchestralen Winkel, arrangiert mit Herzblut-Empathie, überzeugt Lindgren als kongenialer Partner. Langweilig ist wohl kaum jemand an diesem Abend geworden.