Mehldau mit musikalischem Abstand
Zwei Konzerte in Köln
TEXT: Vera Marzinski | FOTO: David Bazemore
Eigentlich sollte das Solo Konzert von Brad Mehldau in der Kölner Philharmonie um 20 Uhr stattfinden. Doch durch die Corona-Auflagen musste die Besucherzahl reduziert werden und Mehldau war bereit, gleich zwei Mal an einem Tag zu spielen. So konnten zwei Konzerte am vorletzten Oktobersamstag stattfinden.
Ein wahrhaftes Kaleidoskop der Emotionen. Und so kann man sich ein Interview mit dem Pianisten zu seinen Erfahrungen mit dem ersten Corona-Lockdown im Frühjahr tatsächlich sparen. Sein Solo-Album „Suite: April 2020“ ist so aussagekräftig – er spricht mit und durch die Musik mit den Zuhörern – im Publikum waren rund 250 Gäste - von seinen Emotionen. Mithilfe einer zwölfteiligen Suite hat er Gemütsbewegungen und Momente festgehalten und so der Pandemie eine musikalische Übersetzung gegeben. In Amsterdam, wo er mit seiner Familie lebt (er ist mit der niederländischen Sängerin Fleurine Verloop verheiratet), wurde er von den Ereignissen inspiriert. Daraus wurden zwölf kleine Kompositionen.
Gleich ein kurzes Stück lässt den Zuhörer in einer vollkommen anderen Welt aufwachen, so heißt es auch „waking up“. Wie dieses Stück, haben alle kleinen Suite-Fragmente erzählerische Aspekte. „Keeping distance“ ist etwas verhalten – ein musikalisches Fragezeichen ob der Situation hinsichtlich des Abstandshalten müssen. Eine Vielzahl von Emotionen hat er brillant aneinandergereiht. Die Zerrissenheit zeigt sich vor allem, wenn er erst mit der linken und dann mit der rechten Hand spielt und in ein gegengleiches Spiel übergeht. „Stopping, listening, hearing“ und das "remembering beore all this“ zeigen dies. Und „the day moves by“ ist wie das Dahinplätschern eines Tages. Aber er greift auch den Alltag auf mit dynamischen Kompositionen wie „in the kitchen" und „family harmonie“. Ein Kaleidoskop von Empfindungen in der Lockdown-Phase. Diese „Suite: April 2020“ ist geprägt von zartem Minimalismus. In einem konzeptionellen Rahmen geht es darum wegzugehen, sich zu verabschieden und sich zu distanzieren und dennoch positive Erfahrungen zu machen. Zu den eigenen Kompositionen hat er weitere Stücke dazu genommen, die eine thematische Verbindung haben und die, so wie er sich spielt, offensichtlich für ihn eine besondere Bedeutung haben. So das „Don’t let it bring you down“ von Neil Young – ein düsterer Song für trübe Zeiten.
Nach diesen zwölf Pieces erzählt er dem Publikum, dass er sich in der Zeit auch viel mit Beatles Songs beschäftigt habe. So das „I am the walrus“ von der Magical Mystery Tour komponiert von Lennon und McCartney – und in Köln in Brad Mehldaus Interpretation und Improvision. Ebenso „If I need someone“, "I saw her standing there“, „Here, there and everywhere“ oder „She said, she said“ – also nicht die ständig gespielten. Und so wird der Abend noch zu einem Teil ein Beatles-Abend. Bei Paul McCartneys „Golden slambers“ am Schluss weist er darauf hin, dass es „a kind of lullaby“ sei. Aber das Publikum lässt diesen Ausnahmepianisten - zwischen 1998 und 2020 wurde Mehldau zehnmal für einen Grammy nominiert und 2020 gewann er die Auszeichnung für Finding Gabriel in der Kategorie bestes Jazz-Instrumentalalbum - nicht ohne Zugaben gehen. Und fast wie ein Augenzwinkern schenkt er ihm ein „Life on mars“ von David Bowie.