MEAT.KARAOKE.QUALITY.TIME
Eine besondere Bild-Ton-Performance im Bochumer Schaubüdchen
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Das verlassene Büdchen im nicht gerade attraktivsten Stadtteil von Bochum – im wörtlichen Sinne überstrahlt von einer übergroßen Amazon-Packstation, die Tristesse eines der in diesem Jahr typischen verregneten Sommerabende, – ja, so muss man sich den Kontext einer Performance bestehend aus Musik und Projektion vorstellen. Die Rede ist von einem Konzert des Trios Meat.Karaoke.Quality.Time gemeinsam mit der Lichtkünstlerin Anastasija Delidova im Schaubüdchen in Bochum, einem „Kiosk für Kleine Künste“, ein „Kleinstraum für Kunst, Literatur und soziale Erzählungen“.
15 Quadratmeter voller Equipment
Jan Klare und Florian Walter mit ihren vor allem mit Blaswandlern betriebenen Synthesizern und Effektgeräten, Karl-F. Degenhardt an den Digital Drums und Sampling-Pads und Anastasija Delidova mit ihrem Rechner nehmen mit ihrem überbordenden Equipment die 15 Quadratmeter des Büdchens voll und ganz in Beschlag. Der Einsatz von KI („Live Processing“) gehört – natürlich für einen avantgardistischen Anspruch – auch irgendwie dazu. Das Publikum sitzt oder steht vor dem Büdchen, schaut auf die vom Innenraum nach außen projizierten Bilder und lauscht der Musik über Kopfhörer einer Silent-Rave-Anlage. „Immersiv“ - wie angekündigt - ist diese Anordnung von visueller Kleinstbühne bestimmt nicht, aber die Umsetzung der Performance entwickelt sich schnell zu einem spannenden und suggestiven Hör-Seh-Erlebnis.
Über die Kopfhörer baut sich ein dichtes Klanggeflecht auf: Dauertöne, ein Bass-Groove, minimal music-Elemente, pulsierende Sequenzen, ständig modulierende Flächen, mal eine Beat-dominierte Sequenz, mal eine fast stille Phase, mal ein Stimmen-Sample – dem Trio gelingt ein höchst variantenreiches und stimmiges Zusammenspiel mit geradezu psychedelisch anmutenden Klang-Räuschen. Die Selbst-Charakterisierung ihrer Musik als „Post-Vaporwave“ ist durchaus als treffend anzusehen.
Klangrausch und kaleidoskopische Bilderflut
Dem Klangrausch entspricht die projizierte Bilderflut: eine unaufhörlich wechselnde Abfolge von Figuren und geometrischen Formen, von kurz eingeblendeten Realbildern, von unterschiedlichen Texturen und Architekturen, von 3D-Animationen, .... Der Besteckkasten der Animations-Software wird intensivst bemüht. Nach einem narrativen Zusammenhang oder gar einer tieferen Bedeutung dieser Visuals und ihrer irrlichternden Montage zu fragen, ist bei dem Konzept obsolet und wohl auch nicht intendiert.
Das organische Zusammenwirken der Bild- und Ton-Ebene erzeugt eine faszinierende Performance: Der kaleidoskopartigen Bild-Collage begegnet das Trio einfühlsam mit entsprechenden Klangfarben und Rhythmen, die Dynamik ihres improvisierten Spiels ist wunderbar abgestimmt auf den Bilderreigen. Trotz der räumlichen Distanz von den Akteuren im Büdchen und ihrem Publikum vor demselben erlebt letzteres ein intensives visuelles und akustisches Gesamtkunstwerk, ja, die Beschallung über den Kopfhörer bietet eine besonders konzentrierte Klangrezeption.
Zwar bereitet der Abend dem Publikum nicht gerade ein lauschiges Sommerfeeling, aber dafür ein überzeugendes Format einer Bild-Ton-Performance an einem originellen Ort, was übrigens dem klanglich-konzeptuellen Ansatz des Trios entspricht. Immer wieder überraschen die Musiker mit außergewöhnlichen klanglich-musikalischen und performativen Experimenten, ob mit oder ohne Kutte und Schlapphut, ob in und an Trinkhallen, ob mit KI und AR, ob mit eigens konstruierten Instrumenten, ob mit Musik per 0800er-Hotline, ob an der Schnellstraße oder auf dem Parkdeck oder im Auto, …. Ihr Auftritt verspricht immer ein besonderes Event. Spannend.
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