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Marc Ribots Jazz Bins im domicil

Tanzbar und avantgardistisch!

Dortmund, 23.04.2023
TEXT: Martin Speer | FOTO: Günter Ulrich Maiß

Einen fantastischen Eindruck hinterließen die drei Musiker der Marc Ribot Jazz-Bins bei ihrem internationalen Tourneestart im Domicil. Das völlig neue Trio des in Jazz- und Rockwelt berühmten New Yorker Gitarristen tarnte sich mit Hammond-Orgel (Greg Lewis) – Gitarre (Marc Ribot) – Schlagzeug (Joe Dyson) als selbst ernannte Soul Jazz-Gruppe oder Orgel-Trio, spielte sich jedoch neben ein paar dem Soul Jazz zugehörigen Songs eher collage-mäßig durch populäre Dance-Grooves der gesamten Jazzgeschichte, gespickt mit avantgardistischen Spitzen. Damit bewies Ribot wieder einmal, dass er keine Grenzen zwischen E- und U-Musik kennt und diese gekonnt zu verschmelzen weiß, ohne jemals banal zu klingen.

Domicil steht hoch im Kurs

Dies war das einzige Konzert in NRW, dafür im wunderbar klingenden Saal des Domicil; in Deutschland können sich nur Berlin und München von den neuen Klängen überzeugen, eine CD gibt es (noch) nicht. Geradezu jazzhistorisch knüpft das Trio mit diesem Gemisch an bekannte Formationen an, in denen Marc Ribot gewirkt hat, zuletzt mit der als Hardcore Punk-Band getarnten Ceramic Dog (z. B. auf der fantastisch hämmernden Your Turn, 2013), die live auf dem Dortmunder Junkyard 2022 zu erleben waren, oder den Young Philadelphians, die den bekannten souligen 70er Disco-Pop aus der namengebenden Stadt mit Streichern und mächtig viel Avantgarde aufpeppten, was auf einer Scheibe festgehalten worden ist (Live in Tokyo, 2015).

Rock-Hintergrund und Collagen

Dass Marc Ribot wieder einmal wild abrockte, zeugt von seiner beeindruckenden Geschichte: man denke nur an die zwei wegweisenden Platten des rauen Unterwelt-Barden Tom Waits (Rain Dogs, 1985, Franks Wild Years, 1987), bei dem er schön schiefe Soli und Begleitung zu ganz dunklen Straßengossen-Stücken wie auch zu schönen Balladen machte. Und nicht nur solche Klänge findet man beim aktuellen Trio wieder, auch die Lounge Lizards mit ihrem avantgardistisch-jazz-rockigen Colllagen-Sound und ihrem Meister-Magier John Lurie haben bei Ribot (der von 1986 bis 1989 auf Live In Tokyo – Big Heart, der oft punkig krachenden No Pain for Cakes und der hermetischen Voice Of Chunk den Klang mit prägte) deutliche Spuren hinterlassen.

Ribot ist trotz allem Jazz-Gitarrist

Kaum künstliche Effekte nutzte Ribot beim Dortmunder Konzert. Man merkte, er kann einfach alles aus einer normalen Jazz-Gitarre holen: lange, schöne, flageolett-reiche Soli, die Soul Jazz-typischen Soli auf ganz angezupften Akkorden, wie sie bei Grant Green oder Wes Montgomery zu finden sind (da wurden mehrfach Anklänge laut), das Spiel mit Obertönen, auch zwei ruhige Balladen mit sanft fließenden Tönen, von denen eine an Herbie Hancocks "Cantalopue Island" erinnert - all das machte den Abend ziemlich rund. Besonders pfiff und jubelte der ganze übrigens ausverkaufte Saal bei den kaskadischen Attacca-artigen verqueren dem Rock und Punk gerade mal ähnlichen Free-Jazz-Einlagen, die Ribot gekonnt an Fortissimo-Stellen nutzte.

Insgesamt staunten die Zuhörer über Ribot, der die Töne durch Schwenken und Vibrieren des Gitarrenkorpus wie auch durch Ziehen und Abdecken von Gitarrensaiten gekonnt veränderte und besonders eindrucksvoll rhythmische Effekte nutzte, indem er Töne und Akkorde um kurze Spannen zurückhielt oder viel schneller aus dem Takt spielte, was unglaublich spannungsvolle Möglichkeiten bot. Wiederum ist das seine Geschichte; von den Jazz Passengers über an den Swing-Sound angepasste Ellington-Duette mit Bill Ware bis zu den zahlreichen Tributalben an seinen Free Jazz-Hero Albert Ayler, der selbst populäre Grooves und volkstümliche Melodien verarbeitete wie auch seinen Soloarbeiten bei John Zorns Masada und Book of Angels. Ein, zwei Stücke mit Latin-Ankängen erinnerten zudem an seine frühere Band Cubanos Postizos.

Greg Lewis und Joe Dyson beeindruckten

Organist Greg Lewis, ohne Zweifel ein Virtuose auf seiner Hammond-Orgel, auf der er auch wahnsinnig flott die Basspedalläufe und Grooves lieferte, spielte auffällig zurückhaltende Soli gegenüber Ribot, war aber voll gleichberechtigt, lieferte heftige Klangflächen mit lang gehaltenen Leittönen in den oberen Registern, die zu Ribots obertonreichem Spiel passten, und drehte einmal völlig auf, als Ribot eine Seite krachte und er zehn Minuten brauchte, um die Gritarre wieder fit zu machen – auch das ist eben Jazz pur, was Ribot glücklich lächelnd aufnahm.

Drummer Joe Dyson war nicht nur hinreißend rockiger lauter Drummer, durchzogen mit jazzigen Polyrhythmen, ganze Stücke samt Melodien und Grooves wurden von ihm leitend aufgebaut. Eindrücklich seine Soli auf Rock’n’Roll-Stücke oder perkussiv bei Rumbas, alles war fetzig und riss das Publikum mit. Jedes Solo der beiden Begleiter wurde mit riesigem Applaus gefeiert. Das ganze Konzert hat sich wirklich gelohnt, hat Spaß gemacht und war vom inzwischen 68-jährigen, völlig jung gebliebenen Marc Ribot massiv und nachhaltig geprägt. Die vielen Anspielungen auf historische Bands seien ein Anreiz, mal wieder reinzuhören, bis auch die Trio-CD auf dem Markt erscheint.

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