Im Dortmunder Konzert buchstabiert sich Murrays kompositorische Handschrift mit der im letzten Jahr veröffentlichten CD Francesca (eine Hommage an seine Frau, die Designerin Francesca Cinelli-Murray) im Zusammentreffen überraschender Klänge, die keine Grenzen zu kennen scheinen. Unübertroffen, präzis gewählte Intonation, verbunden mit seinem wunderbaren Gespür für melancholische Sounds, improvisiert er kraftvoll und einfallsreich. Das Album ist eine Gruppenleistung mit dem Gleichgewicht von kooperativem Geben und Nehmen, das bei jedem kollektiven Unterfangen erforderlich ist liest man mit Staunen den LP-Text der Lucky Four von 1989. Murray steht exemplarisch für einen Musiker, der Tradition und Gegenwart in sich und mit sich authentisch und nachhaltig verbindet.
Kein wenig altersmüde
Reaktionsschnelligkeit und Einfallsreichtum bescheinigt ihm heute die Francesca-Kritik, als würde sich der in der Jazzszene der 1980er Jahre scheinbar allgegenwärtige Murray kein wenig altersmüde zurücknehmen. So kreativ er damals mit Henry Threadgill, George Lewis, Anthony Davis und Steve McCall, später mit Max Roach, Randy Weston, Pharoah Sanders oder McCoy Tyner dem Free Jazz eine Weltbühne gibt, navigiert er heute mit Sanchez, Stewart und Carter in nach wie vor hochenergetischem Fahrwasser. Es bleibt bis heute: Wenn du dein Ohr an die Tür hältst, weißt du, dass es David ist!
Mit solistischer Verve entwickeln seine Francesca-Protagonisten nachhaltig eigene Sound-Räume. Die Pianistin Sanchez federt den Sound poetisch wie gleichermaßen feuersprühend kraftvoll ab, was man nach Augenschein der eher feingliedrigen Frau vielleicht nicht selbstverständlich zuschreiben würde. Stewarts kunstvoll phrasierendes Bassspiel, eine Choreografie als elastische Ganzkörperbewegung für sich, vibriert temperamentvoll, während Carter mit intermittierenden Drum-Breaks und Soli den Sound dynamisiert.
Ein Wechselspiel von atemberaubenden Piano-Soli mit dem für Murray typischen Überblasen der Holzblasinstrumente (ts, bcl), verbunden mit rhythmischen Wechseln von Bass und Schlagzeug, rundet sich zu einem außerordentlich intensiven und poetischen Quartett-Spiel. I'm just trying to express myself in a way that the music feels, formuliert Murray in einem Interview die Idee und das Gefühl für sein Spiel. Viel davon ist an diesem Abend in Dortmund zu hören.