Leuchtende Töne, klingende Farben
Kai Schumacher & friends in der Mercatorhalle
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: André Symann
Im Zentrum von Duisburg "erhebt" sich die Kultur im wortwörtlichen Sinne unmittelbar über den Kommerz – rein architektonisch betrachtet, denn der Weg zur Duisburger Philharmonie, auch Mercatorhalle genannt, führt durch eine große Shopping Mall im Erdgeschoss, bevor es nach oben zum Foyer und in den Konzertsaal geht. Für Kai Schumacher, den Duisburger Pianisten, Improvisationsmusiker und Komponisten, erweist sich dieser aufwändig konzipierte Konzertort seit acht Jahren als idealer Raum, um "Ideen herauszulassen". Seine Reihe "Kai Schumacher meets Friends" öffnet immer wieder Freiräume für zeitgenössische Programme in außergewöhnlichen Besetzungen – auch dies eine bemerkenswerte Antithese zum verbreiteten Negativimage dieser westlichen Ruhrgebietsstadt.
Arvo Pärts berühmtes Kultstück "Fratres" bildete das Zentrum eines Programms, das diesmal vor allem auf Innerlichkeit abzielte, dafür aber denkbar weite Entfaltungs- und Assoziationsräume eröffnete. Arvo Pärts richtungsweisendes Werk steht für Reduktion als schöpferisches Prinzip: Seine extrem reduzierten Parameter erlauben jeder Interpretation, das Stück neu zu erfinden. Eine minimale Tonfolge, karg im Sinne von raumgebend, liefert den Tonvorrat. Schumacher als Spezialist für repetitive "Minimal Music" weiß um diese Qualität. Er setzte die ersten Akkorde mit feinster Modulation, entlockte dem Instrument durch präzise Abstufungen des Anschlags immer neue intensive Klang-Dramaturgien.
Cello und Klavier im Dialog
In der Kombination von Cello und Klavier entfaltete sich der zentrale Dialog des Abends. Benedict Kloeckner „antwortete" auf Schumachers Spiel mit schier unerschöpflichem Vokabular – mal zart mit dem Bogen über den Saiten schwebend, dann immer wieder in expressiver Verdichtung. Sein sonorer, rauer Celloton traf auf die funkelnden Tongirlanden des Klaviers. Ein Wettstreit der Klangfarben: Das Cello durch verschiedenste Strichvarianten, Arpeggien und Tremoli, das Klavier durch subtil gesetzte Cluster und schillernde Klangflächen. Die weiträumige Mercatorhalle erwies sich als idealer Resonanzraum, während das Licht- und Videodesign von Warped Type (Roland Nebe und Andreas Huck) die musikalische Reise visuell begleitete: Filigrane, geometrische Strukturen rotierten in entschleunigten Kreisbahnen über der Bühne, ihre Farbigkeit subtil zwischen kühlen Blautönen und warmem Amber wechselnd, perfekt synchron mit den Klangfarben der Instrumente.
Schumachers Konzertreihe macht sich regelmäßig um die Präsentation junger Talente verdient: An diesem Abend stellte die junge Dortmunder Cellistin Maria Bovensmann mit viel authentischer Präsenz klar, dass man von dieser hochtalentierten Musikerin wohl noch vieles hören und erfahren wird. Überzeugungskraft hatte nicht nur ihr Spiel, sondern auch ihre beiden Eigenkompositionen: Zunächst begleitete sie sich im Stück „In Limbo" in berührenden Vokalisen selbst, dann lieferte ihr zweites Stück "Light Speed" mit einer Art spritzigem Hochgeschwindigkeitsjazz einen erfrischenden Kontrapunkt zur sonst dominierenden Getragenheit dieses Konzertabends, begleitet von einem aufregenden Wechselspiel pulsierender Lichtkegel, die die dynamische Energie der Musik visuell verstärkten.
Die Reise ging weiter...
Weiter ging die Reise, um der Vielfalt spiritueller Gegenwartsmusik im Umfeld von Arvo Pärt und co eine kreative Bühne zu bereiten: Tiefe, brodelnde Klaviercluster formten die Basslinie in Wim Mertens' verspielt-melancholischem "Struggle for Pleasure", das Erinnerungen an Peter Greenaways Filmkunst der 1990er Jahre weckte und zugleich durch neue Klangerkundungen eigene Akzente setzte. In Messiaens "Louange à l'Éternité de Jésus" aus dem "Quatuor pour la fin du temps" erreichte der Abend seinen eindringlichen Höhepunkt. Das 1940/41 in deutscher Kriegsgefangenschaft entstandene Werk entfaltete in seiner Zeitlupenmelodie eine beinahe außerweltliche Kunst der Klanggestaltung: Während sich über der Bühne sanft ineinander fließende Lichtkreise in tiefen Purpur- und Indigotönen drehten, formte Kloeckner den endlosen Ton durch feinste Nuancen im Bogendruck und subtiles Spiel zwischen Vibrato und Nicht-Vibrato.
Radikaler Szenenwechsel danach: Das Vokalensemble Orlandos Erben interpretierte Arvo Pärts polyphon-sakrales "Solfeggio" von einer Empore hoch über den Zuschauerreihen, eingehüllt in sanft pulsierende Lichtsäulen, die den meditativen Charakter der Musik unterstrichen. Die Antwort auf diese himmlisch wirkende Musik folgte mit Giovanni Sollimas frenetischem "Lamentatio", das Kloeckner mit der entfesselten Energie eines Jazz-Solos interpretierte.
Als Finale kehrte "Fratres" auf die Bühne der Mercatorhalle zurück, um nun sämtliche faszinierende Klangaspekte des Abends noch mal zu vereinen: Beide Celli verschmolzen zu einem blühenden Ausdruckskosmos, das Klavier grundierte mit Tremolos und vollgriffigen Clusterklängen hinzu, während der Chor direkt auf der Bühne die vokale Dimension beisteuerte. Nach zahlreichen Mutationen lebte Pärts unerschütterliche Grundidee am Ende noch einmal ganz zart und fragil: Der tiefe Bass, der gebrochene Moll-Akkord in der rechten Hand, überlagert von hohen Flageolett-Tönen des Cellos und den Chorstimmen leitete das letzte Verklingen ein bei dieser eindrücklichen Demonstration dessen, was Musik im Kern ausmacht: Kontinuität in ständiger Veränderung und Erneuerung.