Legends on Stage – Pat Martino Trio feat. Michael Sagmeister
Masterclass und Konzert in Dortmund
TEXT: Ingo Marmulla | FOTO: Ingo Marmulla
Es gibt doch musikalische Ereignisse, mit denen man eigentlich nicht rechnet. So geschehen gerade in Dortmund, wo man an zwei Tagen einen der weltweit bedeutsamsten Jazz-Gitarristen erleben durfte: Pat Martino. Am Samstag, dem 16. Mai, kam er zu einem Masterclass-Workshop ins Fritz-Henßler-Haus, und am Folgetag trat er zusammen mit seinem Trio und Michael Sagmeister im FZW auf.
Fangen wir mit der Masterclass an: Vor einem überschaubaren Auditorium meist etwas älterer Gitarristen teilt Martino uns verschmitzt mit, dass er nun versuchen will, in einer Stunde seine kompletten musikalischen Erfahrungen darzulegen. Und die Erwartungen aller Beteiligten sind hoch: Einige mitgebrachte Gitarren warten schon auf ihren Einsatz, um das Gelernte praktisch gemeinsam mit dem Meister auszuprobieren. Doch es kommt alles ganz anders. Um es gleich zu sagen, wer hier meint, gitarren-technische Anregungen zu bekommen, wird eigentlich enttäuscht.
Pat Martino beginnt seine Ausführungen über sein Verständnis von Musik mit Beschreibungen von Gegensätzen und Gemeinsamkeiten, Polen und Zentren, Tag und Nacht, Leben und Tod, schwarz und weiß... Wenn das Klavier der eine Pol ist, dann ist die Gitarre der entgegengesetzte Pol. Wenn das Klavier eher horizontal erscheint, ist die Gitarre vertikal zu interpretieren. Die C-Dur-Tonleiter mit den entsprechenden Tönen erscheint auf dem Klavier additiv, auf der Gitarre ergeben sich die Spielsysteme multiplikativ. Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss der eine oder andere Teilnehmer schlucken. Der Vortrag wird gitarren-philosophisch, dennoch nicht minder spannend.
Anhand seiner „Fundamentals – A Broder Interpretation of the Guitar“ erläutert er seine Sichtweise eines Symmetrischen Tonraumes. Ausgehend vom Übermäßigen Dreiklang, der einen Kreis dreiteilt, zeigt er die Verwandtschaft zu benachbarten Dur- und Mollklängen mit nur einer halbtonmäßigen Veränderung. C+ wird zu A-Moll, G-Dur, C-Dur. Es geht hier weder um Fingersätze noch melodische Licks, sondern um die Dreiteilung des Tages, die sich im Elternhaus mit der Arbeit in einer Kleiderfabrik, in der Schule, Freizeit und Ausruhen in Philadelphia, ebenso vollzogen hat. Die nächste Einteilung bezieht sich auf die Zahl vier: Der Verminderte Akkord. Auch hier zieht er Parallelen.
Konkreter wird er, als er über den Anfang seiner professionellen Laufbahn berichtet. „Ich spielte mit Sony Stitt. Der spielte ‚Lushlife’ an jedem Abend in einer anderen Tonart!“ Hier half ihm die Moll-Septim-Skale durch das Leben. Und daran halte er im Prinzip immer noch fest. Spiele er „Giant Steps“ von Coltrane, denke er nie an H-Dur, sondern immer an As-Moll. Er demonstriert dies beeindruckend auf seiner Gitarre. Um sein konkretes Spielsystem zu erläutern, verweist er auf die letzten zwei Seiten seiner Schule, die in kopierter Form auf den Auditoriumsplätzen liegt. Er spielt zunächst die Melodie und zeigt dann anhand einer kleinen Moll-Melodie, wie er diese durch das ganze Stück hindurch anwendet.
Nach einer Stunde ist noch Zeit für Fragen. Auf meine Frage, ob sein „dorischer“ Ansatz möglicherweise mit der Bluesspielweise korrespondiert, wehrt er ab. Er spiele keine Skalen oder Modi, ihm ginge es nur um Melodien, ja manchmal nur um einen Ton. Jede Art von Skalen lägen ihm fern... Auch ginge es ihm nicht um die Musiktheorie als solche.
Z.B. habe jedes Haus zwei Eingänge. Einen Vordereingang und einen Hintereingang. Er und George Benson kämen durch den Hintereingang, sie hätten das Gitarrespiel weitest gehend autodidaktisch gelernt. Viele theoretische Probleme wären nicht sein Ding. Da gäbe es andere Spieler, die dies bezüglich unschlagbar wären, beispielsweise Herbie Hancock.
Er erzählt uns von seiner Operation des Hirntumores, welche zum Verlust seines Erinnerungsvermögens geführt habe. Anfangs wäre es für ihn und sein Gitarrespiel katastrophal gewesen, doch mit der Zeit hätte es einen Neuanfang gegeben, bei dem der ganze Ballast der Vergangenheit über Bord geworfen wurde. „I’m cleaner, as I ever was!“
In jeder Tragik läge auch ein neuer Anfang. Dies bringt uns zum Beginn des „Unterrichts“ zurück ... Natürlich lädt er zu seinem Konzert am Nächsten Tag ein.
Am Folgetag steht Pat Martino mit seinem Orgeltrio auf der Bühne, sein Gast heißt Michael Sagmeister. Nachdem das Essener Mole-Trio auf sympathische Weise den Konzertabend eröffnet hat, betritt die Martino-Band mit Pat Bianchi (Hammond B3) und Carmen Intorre (drm) die Bühne. Zu Beginn hören wir eine groovige Version von Coltranes „Impressions“, das ja auch schon Wes Montgomery gerne gespielt hat. Und Montgomery ist mit Sicherheit eine große Inspirationsquelle für Martino, heißt doch das nächste Stück „Full House“, ebenfalls eine Montgomery-Komposition. Sagmeister tritt schnell aus seiner Gastrolle heraus und spielt sehr selbstbewusst und sicher auf. Der einzige Unterschied: Martino macht mehr Pausen während Sagmeisters Spiel als umgekehrt. Ich frage mich manchmal, was der Meister so denkt, wenn er, ohne selbst zu spielen, den rasanten Gitarrenläufen von Sagmeister lauscht. War da nicht die eine oder andere Phrase, die von Martino selbst stammt?, Was Sagmeister an technischer Brillianz zeigt, ist schon beeindruckend und ebenbürtig, allerdings weiß Martino auf Grund seiner immensen Erfahrung und Lebensweisheit noch ein wenig überzeugender zu erzählen. Er muss keine Geschwindigkeit beweisen, kann ruhig mal einen Ton weglassen und ist damit doch der unumstrittene Großmeister des Abends. Das zeigt sich in den Balladen. Sagmeister spielt „You don’t know what love is“ einfach hervorragend mit allen Finessen des modernen Gitarrespiels. Martinos „Round Midnight“ verzichtet auf alle Tricks, ist einfach nur gelebte Jazzgeschichte. Martinos Ton zeichnet sich zudem besonders durch seine Fülle und Weichheit aus. Es ist ein unglaubliches Vergnügen, seinen Melodien zu lauschen. Überflüssig zu erwähnen, dass sowohl Pat Bianchi an der Hammond als auch Carmen Intorre am Schlagzeug zwei Weltklasse-Musiker sind. Überhaupt bildet die Begleitung durch Orgel und Schlagzeug einen idealen Background für Martinos Spielweise. Weitere Kompositionen des Abends sind „Conversation“ von Sagmeister, das beide schon auf CD aufgenommen haben, sowie Davis’ „All Blues“, Rollins’ „Oleo“ in einer sehr eigenen Art und Weise und natürlich als Zugabe „Sunny“, ein Stück, das an diesem Abend nicht fehlen darf. Tosender Applaus ...
Um es kurz zu machen: Kein gitarristisch interessierter Konzertbesucher wird diesen Abend so schnell vergessen!