Lasst die Spiele beginnen!
moers festival 2012
TEXT: Walter Jonat | FOTO: Walter Jonat
Lasst die Spiele beginnen. Blauer Himmel über blauem Zelt. Eine Tradition wird gebrochen. Diesmal keine nassen Füße und die Schirme schützen nicht vor Regen sondern vor der Sonne. Was willst du mehr? Musik natürlich.
The_Dorf eröffnen und spielen in Erinnerung an Frank, für den Trommler, der im Hintergrund in Videoszenen aufersteht. So zahlreich die Musiker auf der nicht kleinen Bühne, das ich in Erwartung und aus der Erinnerung des letzten Jahres die kleinen gelben Pfropfen in meine Ohren stecke. Es gibt was auf die Selben. The_Dorf haben sich als musikalisches Kollektiv versammelt und weben ihren Klangteppich auf- und abschwellend dem Höhepunkt entgegen. Doch weben scheint ein zu sanftes Wort, der falsche Begriff. Eine musikalische Explosion, das Spiel mit dem Wechsel, niemals vorhersehbar, nur scheinbare Schlüsse und ansatzlose Übergänge, die so manchen Zuhörer verleiten zu früh seine Begeisterung herauszuschreien. Head bangen mit Jan Klare, den ich mir als Dompteur der wilden Tiere vorstelle, welche hier, wie passend, im Zirkus, auf die Besucher losgelassen werden. Dann das Chamäleon, ein tanzbarer Rhythmus, natürlich kraftvoll, schmeichelnd und verblüffend harmonisch. Schließlich beginnt das Zelt zu swingen. Unterschiedliche Strukturen treffen aufeinander in The_Dorf, begegnen sich, kämpfen mit und gegeneinander, spiegeln das wider, wofür auch das „Ruhrgebiet“ stehen mag, die Vermischung, die Verschmelzung dieser Musiker, dieser Menschen.
Dann doch, Licht und Ton aus.
Gunter Hampel, eben noch im Interview; er und sein European-New York Quintett werden angesagt. Die Bühne begrüßt ihn freudig eingehüllt in rotem Licht. Kompakt stehend, Schlagzeug, Bass und Saxophon, arbeiten miteinander dem Mann an den vibes zu. Andreas Lang am Bass, ein Hingucker. Dieser bärtige, blonde schwedische Hüne, der hingebungsvoll an seinem Instrument rackert und seinem Mitspieler Johannes Schleiermacher am Saxophon ein musikalisches Gefecht liefert. Räumlich etwas abgesetzt, an der Front, die Stimme der Tochter, Cavana Lee. Spielfreude, gepaart mit einer scheinbaren Leichtigkeit, so kommt es mir vor, wenn Gunter Hampel quasi vierhändig an den vibes zaubert. Hörbare Erfahrung, die andauernde Übung in seinem Lebensinhalt ließen Hampel so werden und klingen.
Tanya Tagaq, voc, Jesse Zubot, violine
Barfüßig, der Körper steht aufrecht, strebt dann zum Licht. Hände suchen den Himmel, dann wieder die Erde. Töne, Klänge ursprünglich, gewaltig, religiös. Die linke Hand kreist über dem Boden sucht die Verbindung zum Großen Geist, der Natur und die Kraft des Lebens. Violine kreischt als eine zweite Stimme. Gedanken, Vorstellungen drängen sich im Kopf, Gedanken an Priester, Schamanen, indianische Tänze, ja, Tanya Taqag schreitet, schreit ihre Lebensgeschichte. Die Stille in der Natur, wenn diese Stimme verstummt, nicht weiter erzählt. Absolut anders, mutig, ohne Angst. Polarlichter umhüllen die Schamanin. Der Ort wechselt; nicht mehr Moers, nun weit im Norden Kanadas. Sie presst die Klänge, Geräusche, Töne aus ihrem Körper. Eine musikalische Niederkunft. Die Stimme bebt, saugt sich in mein Ohr. Urgewaltig in Moers. Absolut anders. Moers, niemals konventionell. Heute und eben jetzt auf gar keinen Fall.
Carla Bley Trio
Carla Bley_p, keys, Andy Sheppard_sax, Steve Swallow_b
Drei Menschen; eine Frau, zwei Männer; ein Klavier, ein Bass und das Saxophon auf der Bühne. Eindrucksvoll reduzierte körperliche Anwesenheit gepaart mit der potenten Gegenwart von Geist. Carla Bley tritt auf; nein, sie gibt nicht nur ein simples Konzert, sie selbst erscheint. Auffallend hager, ihre blonden Haare oder soll ich wagen zu sagen, sie sind grau, erinnern mich an das Gesicht von Andy Warhol. Spielt sie zum ersten Mal auf dem Festival? Carla Bley ist sicher: „I did.“ Sie macht nicht viele Worte, sie will einfach nur spielen, mit ihrer Familie, mit uns. Was soll ich schreiben darüber, außer, das es mir gefällt? Nun, sehr bald lege ich meine Kamera aus der Hand, gebe mich meinen Empfindungen hin, lasse mich fallen und treibe in diesen Strom von warmem Glück, traurigen Erinnerungen und eigenen Bildern meines Lebens. Tränen fließen und der Schauder von Ergriffenheit überwältigt mich. Carla Bley versteht es, Stile und Stimmungen zu verbinden, sie versöhnt, gibt sich weich und hart und schließt den Kreis im Leben und in ihrer Musik. Die Lieder reisen um die Welt, von Ost nach West und meine Gefühle lassen mich bluten. Ich fühle mich erschlagen, ausgelaugt, verbrannt. Mag es so sein, das solche Musik, wie Sommersonne, dir viel gibt, aber auch fordert. Ein kühler Hauch von Luft holt mich zurück und ich bin draußen.