Lady Gaga meets Beethoven
Marcus Schinkel besucht Gymnasium in Hürth
TEXT: Günter Reiners |
Wie weckt man bei Schülern im Gymnasium Begeisterung für Jazz? Indem man ihnen etwas von Beethoven erzählt. Zugegeben, diese Vorgehensweise klingt im ersten Moment etwas unorthodox. Doch bei Marcus Schinkel ging diese Strategie jetzt auf. Bei einem Besuch im Hürther Ernst-Mach-Gymnasium präsentierte sich der Vollblut-Pianist auch als spannender Geschichtenerzähler.
"Ich bin seit 25 Jahren Berufsmusiker, ich lebe also vom Musikmachen", stellte sich Schinkel den knapp 30 Schülern vor. Sein Musikexamen legte er in den Niederlanden ab. "Ich habe schon Rock und Klassik gemacht und bin Theatermusiker", erklärt er weiter. Anders als manch andere Profis, die in erster Linie mit einer bestimmten Band unterwegs sind, sei er ein mehr ein Patchworker und spiele in vielen Ensembles. "Ich bin für alle Untaten bereit außer Schlager und Karneval", betont er. Das gebe ihm viele Freiheiten und die Möglichkeit, im Schnitt 150 Auftritte pro Jahr zu absolvieren.
Sein Herzprojekt aber sei der Jazz: "Ich habe Jazz gelernt, weil ich improvisieren wollte. Für mich ist das nicht nur ein Musikstil, sondern eine Lebenseinstellung." Der Reiz liege am Improvisieren, an der Arbeit mit den Dingen, die man gerade zur Verfügung hat. Das sei ähnlich wie beim Kochen, versichert er: "Man hat zum Beispiel eine Banane und einen Thunfisch im Kühlschrank und muss dann gucken, was man daraus machen kann."
Als er nach Bonn gezogen sei, habe er Beethoven, den wohl berühmtesten Sohn der Stadt, für sich entdeckt. "Die amerikanischen Jazzer", so erklärt Schinkel den Schülern, "nehmen die ihnen vertrauten Melodien wie Musicals und alte Swing-Schlager zur Vorlage für ihre Jazz-Interpretationen. Und in Deutschland haben wir so viel Musikkultur mit Beethoven und anderen Komponisten, dass man das auch ganz prima nehmen kann als Basis für eigene Ausflüge." Umso spannender fand Schinkel, dass Beethoven selbst auch improvisiert habe, wie er bei seinen Recherchen herausfand. Schinkel erzählt, dass Beethoven als junger Mann von Bonn nach Wien gegangen sei, dem damaligen Musik-Mekka. Dort habe er die Szene aufgemischt. "Musik war damals eher als Begleitung zum Essen oder beim Kartenspielen gedacht. Sie sollte nicht stören", so Schinkel und fährt fort: "Da kommt dieser Beethoven aus Bonn und hat ganz andere Ansichten, nämlich, dass man ihm zuhören soll. Und obwohl er nicht gerade eine schöne Gestalt hatte, lagen ihm die Frauen damals zu Füßen, kaum dass er zu spielen anfing, weil er es verstand, das Publikum zu begeistern. So ähnlich wie Mick Jagger, der auch in jedem Arm ein Model hat.
Schließlich greift Marcus Schinkel selbst in die Tasten des Schulflügels. Er spielt mit seiner Jazz-Version von "Für Elise" einen Beethoven-Klassiker in einer mal rockigen, mal romantischen Variation und demonstriert dabei anschaulich, wie das Stück erst beim Spielen entsteht, je nach Lust und Laune des Spielers. Die Schüler applaudieren begeistert. Auf die anschließende Frage einer Schülerin, ob er das Stück gerade improvisiert habe, antwortet Schinkel so: "Es gibt ein Gerüst, eine grobe Struktur, die ich mir vorher zurecht gelegt habe. An der hangele ich mich entlang. Aus der kann ich aber immer wieder ausbrechen und verschiedene Wege gehen. Ähnlich wie bei einem Spielzeuggerüst auf dem Spielplatz: Man kann links oder rechts rum gehen oder durch die Mitte. So wie ich es jetzt gespielt habe ist es einmalig, beim Konzert wird es ganz anders sein. Ich habe die Freiheit beim Jazz, vieles im Augenblick zu entscheiden.
Und dann lässt Marcus Schinkel auf Zuruf aus dem Publikum musikalisch Lady Gaga in orientalischem Ambiente auf Beethoven treffen und verknüpft geschickt und virtuos die verschiedenen Stile zu einem lebhaften Medley und beweist damit dem Schülern, das Jazz immer wieder neu, immer wieder anders und immer wieder modern sein kann.
„Wir wollen die Workshops in den Schulen weiter anbieten, um so auf den Jazz aufmerksam zu machen“, begründet der Vorsitzende Günter Reiners das Engagement des Jazzclubs Hürth.