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Laboratorium des Möglichen

Bericht vom JOE Festival 2025

Essen, 11.02.2025

Gute Festivals haben was mit Eintauchen zu tun. Die Halle der Zeche Carl wurde zum Klangbad, in dem sich Jan Jelineks akustische Biotope entfalteten. Es blubberte, waberte, grollte. Das Videoscreen erlaubt Einblicke in seine elektronische und elektroakustische Klangfabrik, wo Regler, Kabel und Stöpsel zu Protagonisten einer neuen Poesie werden. Man war auf Anhieb tief drin in dieser Klangsprache, die aus Schaltkreisen kommt und doch organische Strukturen aufbaut, in der sich Logik, ja Dramaturgie entwickelte.Das war aber nicht nur beim Auftritt eines der angesehensten Elektronik-Pioniere so, der immerhin auch schon das Pariser Centre Pompidou beschallt hat. Denn das 28. JOE-Festival offenbarte sich in neun Konzerten an drei Abenden als Laboratorium des Möglichen. Die kuratorische Handschrift von Patrick Hengst und Simon Camatta , deren komödiantische Moderationen eine Atmosphäre schaffen, in der selbst das Experimentellste zugänglich wird - auch das eine verdienstvolles Engagement für die Vermittlung von Gegenwartsmusik.  Und ja: Wirklich jedes der neun Konzerte eröffnete Aspekte, die in dieser Konsequenz und Kunstfertigkeit immer aufs Neue ins Staunen versetzten.

Der rote Faden beim JOE-Festival ergibt sich aus der kuratorischen Unbeirrtheit von Patrick Hengst und Simon Camatta : Verlass ist darauf, dass jedes Mal neu etwas kommt, das wieder "completely different" ist. In dieser Hinsicht markierte auch ein Wiederhören mit der Chicagoer Cellistin Tomeka Reid Quartetts eine Riesen-Überraschung: Es beginnt mit leisem Rauschen, zarten Pizzicati. Ein mutiges Anwachsen folgt und großartige kammermusikalische Interaktionen entwickeln sich. Mary Halversons Gitarrenklänge fallen manchmal wie warmer Regen vom Himmel, während Reid am Cello zwischen poetischer Sensibilität und expressiver Kraft changiert. Aber auch die beiden anderen Musiker (Jason Roebke am Bass und Thomas Fujiwara am Schlagzeug) taten ihr Übriges, dass hier Musik aufs Sinnlichste ins Swingen kam.

Freudvoll und vital

Drei "besessene Rhythmiker" trafen aufeinander, als die japanische Perkussionsmeisterin Taiko Saito auf ihrem riesengroßen Marimbaphone, Niko Meinhold am Klavier und Moritz Baumgärtner am Schlagzeug gemeinsame Sache machten. Filigran ist er, dieser Breitbandsound, in dem die Hölzer gläsern schimmern. Die freudvolle Vitalität im Spiel der Japanerin wurde durch Baumgärtners rockiges Schlagzeugspiel und die dynamische Pianistik von Meinhold zu einem mitreißenden Gesamtklang verstärkt.

Selten hat man erlebt, von null auf hundert in ein so hochkonzentriertes Klangszenario hineingezogen zu werden wie im Duo zwischen Gunda Gottschalk (Violine) und Ute Völker (Akkordeon). Ihre jahrelange künstlerische Verbundenheit offenbarte sich – ja, man kann es nicht anders sagen – in spektakulärer Weise. Das Akkordeon, ohnehin symbolisches Instrument für musikalische Vielschichtigkeit, wechselt zwischen meditativen Drones und eruptiven Sforzati, und noch viel mehr dazwischen entlockte Völker ihrem edlen Instrument. Die Antwort lieferte Gunda Gottschalks filigraner Ideenfluss voller expressiver Ausbrüche und spieltechnischer Bravour, die sich maßgeblich auch aus der klassischen Moderne im 20. und 21. Jahrhundert unablässig neu definiert.

Das Publikum, das alljährlich in ähnlicher Zusammensetzung kommt, sich aber je nach Konzertabend immer etwas wandelt, erweist sich als idealer Resonanzkörper, denn die meisten hier sind jahrelang geschult, daran zu partizipieren. Auch wenn sich nur sehr selten die (zahlreich existierenden) Jazzfans aus dem Umfeld der Folkwang auf den Weg in die Zeche Carl machen, so ist das Festival, das auch vom Deutschlandfunk übertragen wird, dennoch kein hermetischer Kosmos. Patrick Hengst und Simon Camatta checken sehr wohl lokale Kooperationsmöglichkeiten aus - und das hatte schon beim Eröffnungskonzert am Donnerstagabend klangvolle Früchte getragen. Das Tupletmachine Trio – Anushaant Nayinai Wijayan (Mridangam, Konnakol), Johannes Winkler (Komposition, AlgoRhythmik) und Matthias Akeo Nowak (Kontrabass, Konnakol) – verband indische Rhythmustraditionen mit experimenteller Computersynthese zu einer "hyperkulturellen Musik". Eine passende Konstellation für Essen, das sich als Zentrum für Konnakol, die indische Rhythmussprache, etabliert hat.

Dub und Dada

Was für coole Bands kommen aus Wien zum JOE-Festival: Das Trio Radian zog vom ersten Ton an in tiefe Ambient-Dub-Klangwolken hinein, transzendierte aber sehr bald jede Genre-Kategorisierung. Denn was hier mühelos auch solchen Bands wie Massive Attack oder Portishead einen verlässlichen Antrieb geliefert hätte, verdichtete sich immer konsequenter zu einer sprechenden Musikkunst aus minimal getakteten Gesten. Faszinierend, mit welch minimalen Bewegungen der Drummer Martin Brandlmayr auf den Punkt kommt, wie selbst jeder einzelne Strich des Besens auf Becken oder Snare einen markanten Impuls in der erzeugten Hochspannung erzeugte. Gitarrist Martin Siewert arbeitete sich an sämtlichen Tricks am gepflegten, kolossalen psychedelisch-lyrischen Wall of Sound ab – die ganze getaktete Reduktion wäre aber wohl ohne die Kunst der möglichst wenigen Töne des Bassisten Manu Mayr nur die halbe Miete gewesen.

"How Noisy Are The Rooms?" mit Almut Kühne, Joke Lanz und Alfred Vogel sprengte sofort ganz andere Erwartungen. Kühne legte mit ihrer Stimme los, dass man sich auch erstmal warm hören musste. Hier wurde nicht einfach mit Stimme, Schlagzeug und Turntablism rumimprovisiert, sondern entwickelte sich auf Anhieb eine viel höhere performative Ebene. Ihre Stimme trilliert und tremuliert, Silbenfetzen, spitze Schreie, Gezwitscher, theatralisches Gestikulieren verbinden sich zu einem improvisatorischen Konsens mit den Cuts und Scratches von Joke Lanz und dem narrativ-perkussiven Redefluss von Alfred Vogel. Eine performative Vielschichtigkeit breitet sich aus, die an dadaistische Performances der 1920er Jahre erinnert – Almut Kühnes selbst bekundete Referenz an die legendäre Dada-Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven erwies sich dabei als absolut legitim.

Zurück zu den Klangbädern. Was ist überhaupt Klang? Diese Frage stellte Thorsten Töpp in seiner Solo-Performance nicht nur theoretisch, sondern beantwortete sie in 45 Minuten praktischer Forschung am lebenden Objekt seiner Gitarre. Ohne jegliche elektronische Hilfsmittel, allein durch die körperlose Berührung der Saiten, entlockte er seinem Instrument ein schillerndes Spektrum von Möglichkeiten. Eine elektrische Gitarre ist ohnehin schon eine Wunderwelt für sich. Der schier endlose Nachhall macht hier vieles möglich. Irgendwo in dieser extrem weiten Zwischenwelt entfaltete Thorsten Töpps "befreite" elektrische Gitarre ihre ganze lyrische Magie. Je körperloser und sanfter die Hände die Saiten nur berühren, umso mehr Freiheit im Klang entsteht.

Offenbarungen und Referenzen

Den krönenden Abschluss bildete der Auftritt der in New York lebenden Schweizer Pianistin Sylvie Courvoisier mit ihrem langjährigen Trio. Von Anfang an strahlen die drei – Courvoisier selbst, Drew Gress am Bass und Kenny Wollesen am Schlagzeug – eine entspannte Lässigkeit aus, die perfekt zur Atmosphäre der Zeche Carl passt. Doch ihr Spiel zieht sofort in andere, höhere Dimensionen hinein. Leicht macht sie es ihrem Publikum zwar nicht, weil ihre Stücke das Labyrinthische pflegen, immer wieder neue Wendungen einnehmen, Rätsel offenbaren und damit Erkundungen und die Bereitschaft dazu auch vom Publikum einfordern. Wer sich auf diese Verwirrspiele einließ, wurde mit Offenbarungen von Fantasie und instrumentaler Gestaltungskraft belohnt. Klar, es sind viele Referenzen an Jazz-Stile darin, oft zwingt die Musik in bestimmte Richtungen – all dies aufgeladen mit dem selbstbewussten, kraftvollen, druckvollen Spiel von Courvoisier, der überirdischen Variabilität des Schlagzeugers und der Souveränität des Bassisten. Nach vielen verschachtelten Prozessen kamen immer wieder diese Rückkehrungen zu impressionistischen Ideen, zu Motiven, die bereits vorher in diesem ganzen Kaleidoskop der Möglichkeiten vorhanden waren und nun weiterlebten. Das war wieder einmal ganz große Kunst und ja, eben auch Jazz, der aus dem Heute kommt.

Die Konzerte könnten kontrastreicher und gegensätzlicher nicht sein, wenn man das eine mit dem anderen vergleicht. Doch das Maß an Erkenntnis, die Horizonterweiterung und kreative Frische, die einen bei jeder neuen Darbietung anspringt, erweist sich als übergreifendes Merkmal. Das JOE-Festival zeigt einmal mehr, dass radikale künstlerische Vision keine glamourösen Spielstätten braucht. Im Gegenteil: Die raue Industriearchitektur der Zeche Carl wird zum idealen Resonanzraum für eine Musik, die aus dem Heute kommt.

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