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Kulturhauptstadt Tallinn

Jazzkaar-Festival 2011

Tallinn, 29.04.2011
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Sven Tupits & Kaupo Kikkas

Es gab Zeiten, da kostete ein Festvalticket gerade mal umgerechnet zwei Euro. Aber selbst das war Anfang der 1990er Jahre für so manchen in den wirtschaftlich schwierigen Zeiten im damaligen Estland zuviel. Das Festival „Jazzkaar“ hat eine inzwischen 22-Jährige Geschichte hinter sich, fand noch unter einem anderen Namen zum ersten Mal sogar noch unter sowjetischer Besetzung statt. Inzwischen ist „Jazzkaar“ eine Institution geworden und eine gleichnamige Agentur veranstaltet sogar das ganze Jahr über Konzerte und Konzertreihen. Das Hauptfestival aber findet immer im April statt. Und da Tallinn in diesem Jahre neben dem finnischen Turku den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt trägt, gab es zusätzliches Geld. Etwa, um einen Bobby McFerrin einzuladen, dazu Künstler wie die kapverdische Sängerin Mayra Andrade, die Poogie Bell Band aus den USA oder den kamerunischen Bassisten Richard Bona, Saxofonist David Liebman zum Jazz-Botschafter zu machen - und das Festival mit einem zweitägigen „Punkt“-Festival zu starten.

Jan Bang und Erik Honoré, die beiden Initiatoren und Macher des „Punkt“-Festivals, kamen mit langjährigen Fixpunkten ihres Festivals im norwegischen Kristiansand nach Estland. Arve Henriksen, Eivind Aarset, Sidsel Endresen und J. Peter Schwalm gaben sich die Ehre. Und mit Ausnahme von Jan Bangs eigenem, großartigen Programm „… and poppies from Kandahar“ suchten die Norweger den Kontakt zu estischen Musikern wie dem allerdings ein wenig blutleer und immer auf einem Level agierenden Weekend Guitar Trio. Der Segakoor Noorus mit seinen Choralwerken des estischen Komponisten Veljo Tormis hatte schon letzten September in Kristiansand verzückt. Jetzt wieder auch in Tallinn, ebenso wie der Remix dieses beseelten Konzertes von Jan Bang, Erik Honoré und Eivind Aarset. Man spürt einfach die Vertrautheit unter den norwegischen Kollegen. So entstehen atmosphärische Klangbilder, tauchen darin die geloopten Chorstimmen auf und verschwinden wieder. Einmal mehr sehr konkret mit vielen Verwendungen des Originalkonzertes gestaltete der Frankfurter J. Peter Schwalm einen Remix - dieses Mal vom Konzert von Jan Bang. Trotzdem blieb Raum für eigene Soundcollagen und für Guy Sigsworth. Der Brite hat Stars wie Madonna oder Björk produziert, war als besuchender Gast in Tallinn und stieg spontan bei Schwalms Remix mit ein.

Der aus Münster stammende Michael Schiefel bezauberte beim „Jazzkaar“ mit seinem Soloprogramm. Wie eine helle Frauenstimme oder herrlich androgyn kann der Wahl-Berliner singen und versteht dabei seine Stimme wunderbar zu loopen, Gesangs- und Geräuschspuren oder Instrument-Imitationen übereinander zu schichten und als Schleifen wieder abspielen zu lassen. Ein wahnwitziger, ausgeklügelter Vokaltrip, den das Tallinner Publikum mit viel Applaus bedachte. Ebenso gut kam das indische Duo Talvin Singh & Niladri Kumar bei den Esten an. Der Tabla-Spieler und der Virtuose auf der Sitar hatten ihre stärksten Momente, wenn sie die elektronischen Einspielungen vom Computer in ihren Songs wegließen und sich nur auf ihren live gespielten Instrumenten gegenseitig hochschaukelten. Dann sprühten die rhythmischen Funken im Verbund mit bisweilen ganz starken Melodien.

Im wunderschönen Kadriorg-Park öffneten eine Tag lang die dort beheimateten Museen ihre Türen, um estische Musiker dort auftreten zu lassen. Ganz stark das Joel Remmel Trio. Der junge Pianist Joel Remmel, Anfang 20 und diesjähriger Preisträger des Young Jazz Talent Award, was ihm eine Aufnahmesession im estonischen Radio und einen Auftritt beim nächsten „Jazzkaar“ einbringt, pflegt in seinem Trio mit seinem noch jüngeren Bruder Heikko-Joseph am Kontrabass und der ebenfalls ganz jungen Schlagzeugerin Aleksandra Anstal einen ausdrucksstarken, lyrischen Jazz.

Die junge estische Jazzsene hat was zu bieten. Kadri Voorand, Young Jazz Talent Award-Gewinnerin 2008, sollte man sich auf jeden Fall mal anhören! Live erleben konnte sie der JT-Abgesandte dieses Mal in Tallinn nicht, aber die Sängerin drückte ihm ihre eigene CD „Tunde Kaja / Echo Of A Feeling“ in die Hand. Starke Stimme, starke Songs! Und auch der Gitarrist Jaak Sooäär, der neben seinem eigenen Trio auch mit dem deutschen Saxofonisten Daniel Erdmann zusammenspielt, hat Hörenswertes zu offerieren. Tallinn ist also eine Reise wert – in diesem Kulturhauptstadtjahr ganz besonders!

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