Kulturen und Welten vereinen
Das Sommerton-Festival auf Schloss Diersforth
TEXT: Stefan Pieper, Bernd Zimmermann | FOTO: Stefan Pieper, Bernd Zimmermann
Die Musikwelt blickt auf Polen – zu einem Zeitpunkt, wo sich in Deutschland einmal mehr die Renaissance des Spießertums durch die generationen- und milieuübergreifende Anbetung einer keimfreien, blonden Retorten-Schlagerfigur ausdrückt. In unserem östlichen Nachbarland ist es hingegen ein begnadeter Pianist von künstlerischer Weltklasse, der mit seinem aktuellen Soloalbum mal eben sämtliche Plattenverkaufs-Zahlen der einschlägigen Figuren aus der Unterhaltungsindustrie überholt! Ist es so, weil sich Leszek Mozdzer mit seinem neuen Soloalbum dem „Übervater“ des polnischen Jazz Krystof Komeda verschrieben hat? Beim Sommerton-Festival auf Schloss Diersforth musizierte er im überragenden Duo mit dem israelischen Perkussionisten Zohan Fresco.
„Er sei eine traurige, lyrische und tragische Person“ charakterisierte Leszek Mozdzer bei seinen Anmoderationen den berühmten 1969 verstorbenen Komponisten. Wenn Mozdzer in die Tasten langt, und seine silbrig funkelnden Melodiebögen aufblitzen und gleißen, verwandelt sich sämtliche Schwermut aus Komedas Musik in einen Strudel aus überschäumender Freude. Aber Melancholie und Glücksgefühl liegen ja oft sehr dicht und symbiotisch beieinander…
Leszek Mozdzers Spiel berührt – und wie! Seine messerscharf präzise Anschlagstechnik vereint spielerisch eine schwerelose Leichtigkeit. Dies findet bei dieser Duobegegnung einen fulminanten Widerhall im Rhythmuszauber von Zohan Fresco, dessen zehn Finger auf orientalischen Trommeln ebenfalls im Dauereinsatz sind. Und die bittersüßen Themen aus der Filmmusik von Roman Polanskis Horror-Klassiker „Rosemaries Baby“ ziehen bei aller Verspieltheit in tiefe Gefühls-Wechselbäder hinein. Dabei verfremdet Mozdzer auch mal den Klavierklang, so dass es grotesk scheppert. Er schwärzt den Hintergrund seiner Klang-Bilder oft durch abgrundtiefe Bass-Pedaleffekte auf bedrohliche Weise.
Imaginäre Welten voller Eindringlichkeit hatte auch das Auftaktkonzert geboten: Da führte das griechisch-persische Trio „Mavra Froudia“ scheinbar gegensätzliche Kulturen zusammen. Getragen wird das Spiel dieses Trios von den repetitiven Rhythmen und melodischen Figuren der kretischen Tanzmusik, sowie von orientalischen Skalen und Mikrointervallen und elektrisierenden Unisono-Effekten. Über weite Strecken überwog ein meditativer, fast ritueller Gestus. Und gegen Ende dieses Konzertes dreht das Trio so richtig auf – man wollte aufspringen und die Nacht durchtanzen!
Viel zu introvertiert für so ein großes Festivalzelt mutete hingegen der puristische Solovortrag des Flamenco-Gitarristen José Luis Monton an. Zwar verströmte dessen lupenreines Saitenspiel höchst subtile Erfindungskraft und eine feingezeichnete Psychologie - aber so etwas hätte vielleicht besser in die kleine Schlosskapelle gepasst, um (vor allem mit weniger aufdringlicher PA-Verstärkung) ein adäquates Maß an meditativer Versenkungzu evozieren.
Aber man muss eine Auswahl treffen – und zweifelsohne war der katalanische Kontrabassist Renaud Garcia-Fons in der Schlosskapelle bestens aufgehoben. Dessen Auftritt war unmittelbar nach der Bekanntgabe dieses Programmpunktes ausverkauft gewesen, so dass die Veranstalter eine Zusatz-Show anberaumten. Zwar hat Fons mit seinem solistischen Kontrabass bekanntlich genug spielerische Extrovertiertheit in Reserve, um damit große Auditorien zu füllen. In der Kirche erlebte man dafür umso mehr Renaud Garcia Fons bescheiden-sensible Aura. So hautnah wie es nur denkbar ist!
Für ihn ist der Kontrabass ein Vehikel, um endlos durch weite Welten zu reisen. Leider reiche für sämtliche Streifzüge dieser Art die Zeit nicht aus, bedauerte Garcia-Fons in der Diersforther Kapelle. Aber er brachte umso mehr davon in einer intensiven Stunde unter. Loops und Effektgeräte erlauben ihm, über selbstgespielte ostinate Figuren zu improvisieren und zu fantasieren. Endlos ausdifferenziert sind Klangfarben und Spieltechniken. Die fünfte höhere Saite lässt ihn so hoch auf einem Cello kommen. Aber die Tongebung ist eine andere. Weicher und erdiger. Einfach unnachahmlich! Flamenco-Elemente und kurdische Volksmusik lieferten die orientalischen Färbungen zu seinem hier gespielten Repertoire. Ein keltisches Traditional gab Raum für treibenden Folk. Man konnte manchmal auch an die Tanzsätze aus Bach-Suiten denken. Und irgendwann klang dieses hier aus jeder konventionellen Rolle befreite Musikinstrument auch mal wie ein schepperndes archaisches Saiteninstrument aus der Volksmusik von Burundi.
Tags zuvor präsentierte der Erfinder des Duisburger Traumzeit-Festivals und jetzige Künstlerische Leiter des Sommerton, Wilfried Schaus-Sahm, gleich zwei Weltklasse-Jazzer. Während Al di Meola der mit seinem etatmäßigen, in Köln lebendem, Perkussionisten Rhani Krija und dem italienischen Gitarristen Peo Alfonsi sein neues Album "All Your Life" mit seinen manchmal bis zur Unkenntlichkeit adaptierten Beatles-Songs vorstellte und dabei wenig Neues bot, überzeugte der britische Sänger und Pianist Ian Shaw mit seinem lebendigen und sehr unterhaltsamen Programm das Publikum völlig. Die Variabilität seiner Stimme und seine Improvisationsfähigkeit gehört ohne Zweifel zum Besten, was es zur Zeit weltweit im männlichen Vocal-Jazz gibt. Vor allem seine Liebe zu Joni-Mitchell-Songs bezeugen die Sensibilität für seine Inspirationsquellen und die künstlerische Vielfalt bei den Interpretationen der Stücke wie "A Case Of You" oder "Both Sides Now". Sein Timing und seine Intonation macht aus jedem noch so bekannten Stück eine neue emotionale, wie musikalisches Offenbarung.