Bild für Beitrag: Krieg und Frieden im Diskurs | Münsteraner Klangzeit-Festival 2014
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Krieg und Frieden im Diskurs

Münsteraner Klangzeit-Festival 2014

Münster, 12.02.2014
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

„Krieg und Frieden“ als Motto für Münsters renommiertes Festival für Gegenwartsmusik versprach Aktualität und Reibung – und lieferte internationale Begegnungen, Uraufführungen und spannende Ensembles aus vielen Nationen! Das Klangzeit-Festival nutzte zwei Wochen lang alle Chancen zur Ausgestaltung eines komplexen Themas. Dabei sollte es keineswegs immer nur düster zugehen.

„Improvisatoren aller Länder vereinigt euch!“ lautete die Parole, als in Münster während eines Workshops ein Gipfeltreffen internationaler Improvisationsmusiker anberaumt wurde. Denn die Improvisierer-Szene ist so global vernetzt und kommunikativ, also zog es kreative Charakterköpfe aus Istanbul, dem Libanon und der Türkei, aber auch aus der heimischen Kaderschmiede Wuppertal nach Münster. Dort lassen die Musiker – maßgeblich unter Gunda Gottschalks Federführung - humorvoll und freigeistig ihre Ideen fließen, erarbeiten sensible Klang-Texturen, konfrontieren ihre instrumentalen Verrücktheiten im Duett miteinander oder vereinigen sich im Klangkollektiv. Da wird am Klang gearbeitet, ist die Grenze zwischen verbaler Kommunikation und klanglicher instrumentaler Geste so frei variabel und regelrecht aufgehoben.

Wer während des Klangzeit-Festivals in Münster das Rathaus bzw. dessen Innenhof betrat, erlebte einen Gleichklang der akustischen „Environments“ von Istanbul, Kairo, Jerusalem und Beirut. Die urbanen Welten an diesen Orten sind ja auch sehr stark miteinander verwandt im globalisierten Zeitalter. Aber die Gleichzeitigkeit der Kulturen, Religionen und historischen Verwurzelungen deutet auf die Enge hin, in der eine sich immer mehr vergrößernde Bevölkerung eine sich immer stärker beschleunigende Welt teilen muss – darüber wollte Oliver Schnellers Klanginstallation „Polis“ reflektieren.

Zu solchen Gedanken haben sich viele junge Komponisten der Gegenwart einiges einfallen lassen: Etwa der junge Grieche Manos Charalabopoulos, der mit seiner aufwühlenden Collage aus Kammermusik und Videokunst in die Vertreibungsgeschichte vieler Menschen während der langen griechisch-türkischen Konflikte hineinzog. Die Begegnung zwischen Orient und Okzident wurde bei den vielen Uraufführungen in Münster auch musikalisch zum dominierenden Thema - vor allem wenn es um kulturübergreifende Vereinigung der Tonsprachen geht. So erzeugte etwa das türkische Hezarfen-Ensemble einen meditativen Atem, wenn es zeitgenössische europäische Streichermusik mit orientalischer Tonsprache verwob.

Konflikte und Reibung taugen anscheinend viel besser zu künstlerischer Produktivität als eine widerspruchslose heile Welt. Davon zeugte ein bemerkenswertes Stück des Istanbulers Fazil Say namens „Divorce“. Der hat die ganze aufgeheizte Rhetorik von Beziehungskonflikten in eine entsprechend wild gestikulierende Streichquartett-Sprache übertragen - und das Ensemble Compania machte im Rathaus-Festsaal diese ganze aufgeheizte Stimmung so hautnah erfahrbar.
Anderswo kamen schockierende geschichtliche Tatsachen ins Bild, die wieder mal kaum im europäischen (Geschichts-)Bewusstsein präsent sind: Cecilia Kim hat in ihrem Stück „Remember the Remembering“ dem Schicksal jener koreanischen Frauen nachgespürt, die von den japanischen Besatzungsmächten als Sex-Sklavinnen verschleppt wurden. Beeindruckend war hier einmal mehr die Stimme der Münsteraner Mezzosopranistin Annette Kleine, die hier den Text von Cecila Kim vortrug. Ebenso eindringlich und expressiv interpretierte Annette Kleine ein neues Werk der Koreanerin Younghi Pagh-Paan, „Den Müttern“ – das Trio aus Annette Kleine sowie dem Piccoloflötisten Pavel Tseliapnio und dem Schlagzeuger Stephan Froleyks war hier für genug einschneidende Wirkung gut.
Zum Kammerorchester vereinten sich die Protagonisten aus Münster bei einem weiteren Themenabend, um dem verbindenden musikalischen Element auf der Achse „Tel Aviv- Istanbul und Moskau“ nachzuspüren. Josef Bardanashvili hat eine zerbrechliche kammermusikalische Sprache aus georgischen und jüdischen liturgischen Elementen geformt. Taner Akyol fällt hierzu ein skizzenhaftes Gitarrenstück ein, wo er den Blick auf zerbrechliche Innenwelten richtet. Und Taner Akyol widmete seine aktuelle Komposition „drei Bäumen auf dem Taksim-Platz“. Aus so etwas erwuchs im kleinen Haus des Münsteraner Theaters eine Ensemblekomposition in einer dichten, sehr unmittelbaren Klang-Sprache. So ganz vereinte sich das kraftvolle Saitenspiel von Taner Akyols Baglama mit den reibungsvollen Klangströmen des von Rene Gulikers geleiteten Kammerorchesters.
Münsters Klangzeit-Festival besticht aber nicht nur durch seine Uraufführungen am Puls der musikalischen Gegenwart. Denn viele zeitlose Klassiker der Moderne, die sonst viel zu selten auf den Spielplänen auftauchen, locken allein schon die Reise nach Münster. Zum Thema passte hier Paul Dessaus Stück „Guernica“, aber auch Arnold Schönbergs „Ein Überlebender aus Warschau“.
Das Thema „Krieg und Frieden“ kann auch mal in heitere, ja märchenhafte Gefilde vorstoßen: Igor Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ erfuhr eine glanzvolle Aufführung im barocken Ambiente des Erbdrostenhofs. So angesteckt von der pointenreichen Musik zwischen Jahrmarktästhetik, Jazz und kühnem Neutönertum war das Miniorchester unter Martin Dehnings Leitung. So bildhaft evozierte die Stimme von Harald Redmer die ganze Schrägheit dieser Story von einem Soldaten auf Heimaturlaub, der schließlich seine geliebte Geige dem Teufel verkauft, aber damit auch nicht glücklich wird. Denn die Musik vermag doch viel mehr, als jeder materielle Reichtum, den der Soldat als „Gegenleistung“ bekam.

Derweil rollten in Münsters Petrikriche schon wieder die „Different Trains“. Steve Reichs experimentelles Streichquartett entfaltet unter den Händen des Nomos Quartetts eine aufwühlende, manchmal gespenstische, aber auch wieder zuversichtlich machende Atmosphäre im erhabenen Kirchenraum. Streichertexturen versetzen in Hypnose. Sprachfetzen appellieren so unmittelbar. Und dann wollen diese Eisenbahnzüge als dynamisches Treibmittel der Moderne keinen Stillstand kennen. Um Fortschritt zu produzieren, aber auch um die Logistik für die größte zivilisatorische Katastrophe im 20. Jahrhundert zu liefern. Das Nomos Quartett machte dieses ganze Spektrum hautnah in der weiträumigen Akustik der Petrikirche erlebbar.

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